Kulturkampf im Westen Frankreichs
73% Kürzung – Das ist Rekord
von Eberhard Spreng
In der Region Pays-de-la-Loire kündigt Regionalpräsidentin Christelle Morançais Kürzungen für die Kultur um spektakuläre 73% an. Sie schießt damit weit über Sparziele hinaus, die ihr das nationale Finanzministerium bei den Sparanstrengungen empfiehlt. Es geht um eine Richtungsentscheidung und wohl auch um den Flirt mit den Ultrarechten.
Deutschlandfunk, Kultur Heute – 02.12.2024 → Beitrag hören
Einen Cris de Colère, einen kollektiven Wutschrei, veranstalteten Kulturschaffende am vergangenen Donnerstagmorgen vor dem Theater von Angers. Kurz zuvor hatten Tausende in der Regionalhauptstadt Nantes gegen die drastischen Kürzungen demonstriert. Was sie für das Zirkusprojekt Le Plongeoir in Le Mans bedeuteten, erklärt sein Leiter Richard Fournier.
„Letzte Woche bekamen wir die Nachricht über die Kürzung von 72.000 Euro. Dann kam eine SMS, die weitere 28.000 Euro Kürzung für das Festival „Le Mans fait son Cirque“ ankündigt, das wir veranstalten. Und dies obwohl Vertreter der Region in unserem Verwaltungsrat sitzen und genau wissen, was wir zum Beispiel in sozialen Brennpunktbezirken leisten.“
Die Regionalpräsidentin Christelle Morançais will sich fast völlig aus der Kulturförderung zurückziehen, wie die Co-Diektorin des nationalen Tanzzentrum in Angers, Marion Colléter erklärt.
„Frau Morançais leugnet die Vorstellung von der Kultur als einer öffentlichen Aufgabe. Sie existiert Dank der gemeinsamen Finanzierung durch den Staat und die Gebietskörperschaften, also Region, Departement und Kommune. Dieses Zusammenspiel wird jetzt vernichtet.“
Der deutsche Satz „Kultur ist Ländersache“ gilt in Frankreich nicht. Dort ist der finanzstärkste Akteur der Staat, aber auch die Regionen und Kommunen, sowie in geringerem Maße die Departements, wirken mit. Deshalb werden die verschiedenen Kulturträger von der angekündigten Kürzung der Region um spektakuläre 73% unterschiedlich stark betroffen sein, je nachdem wie sehr ihr Budget direkt von den Regionalgeldern abhängt. Für das Theater in Angers erklärt dies der dortige Leiter, der Schauspieler und Regisseur Marcial di Fonzo Bo.
„Die Gelder der Region am Gesamtbudget des Theaters dienen vor allem der Produktion, dem Engagement von Künstlerinnen und Künstlern aus der Region zum Beispiel. Auch wenn dieser Anteil an unserem Gesamtbudget nur zwischen 3 und 5 Prozent liegt, bedeutet dessen Kürzung dass wir 20-25 Prozent weniger Geld für die künstlerische Arbeit haben.“
Wir sprechen hier wohlgemerkt nicht übers Sparen in Zeiten knapper Kassen. Denn die Regionalpräsidentin kürzt glatte 100 Millionen, obwohl das nationale Finanzministerium ihr nur 40 Millionen empfahl. Besonders verärgert dürfte Nantes Bürgermeister über diese Entscheidung sein, denn diese Kürzungen betreffen auch das „Haus der Poesie“ in Nantes, das Schulen und Universitäten mit Schriftstellerinnen und Schriftstellern zusammenbringt und ein jährliches Poesiefestival veranstaltet. Erfolgreiche Kulturarbeit, für die demnächst auch mehr Baufläche bereit gestellt werden soll, wie die Chefin Magali Brazil betont.
„Die Region Pays-de-la-Loire förderte das Haus der Poesie schon seit 2003. Nach der Stadt Nantes steht sie an zweiter Stelle bei den öffentlichen Geldern. Nun fehlen in unserem Budget von 340.000 plötzlich 60.000 Euro. Und das in der Phase der Erweiterung.“
Und das Kulturministerium in Paris, das von einer ebenfalls konservativen Politikerin geleitet wird? Von Ministerin Rachida Dati ist nichts zu hören, obwohl sie doch die Provinzen und den ländlichen Raum bei Sparbemühungen ausnehmen wollte. Richard Fournier wundert sich.
„Ist da nicht ein Paradox zwischen der Politik der Kulturministerin, die die Kultur im ländlichen Raum fördern will und einer Region, die einfach so mal alles kappt, was diesem Vorhaben hilft!“
Ein vielzitierter Tweet der Regionalpräsidentin Christelle Morançais hat vor allem der Presse im Umfeld des Rassemblement National gefallen. Auch Marion Colléter ahnt eine politische Agenda.
„Ich kann das nur Aggression gegen die Kulturszene nennen. Christelle Morançais nennt sie linke, politisierte, militante Einrichtungen. Das ist populistisch und demagogisch. Ein Beispiel für ultraliberale Politik, mit der sich die bislang wenig bekannte Christelle Morançais auf nationaler Ebene profilieren will.“
Die Kultur schmähen, um ultrarechten Wählern zu gefallen? So etwas ist neu im rechten demokratischen Spektrum. Aber das zeigt, worauf man sich auch andernorts in Europa vorbereiten muss. Beim Flirt mit den Ultranationalisten vergessen einige Konservative allerdings gerne auch schon mal wirtschaftspolitische Binsenweisheiten. An eine von ihnen erinnert Richard Fournier.
„Jeder in die Kultur investierte Euro bringt sechs Euros Umsatz in der regionalen Wirtschaft. Die Kultur ist ein Motor der lokalen Ökonomie und die wird nun direkt mitgeschädigt.“
Die so genannte Subvention der Kultur ist eigentlich eine profitable Investition.