Die-neuen-grünen-Bürgermeister schrecken-die-Kulturszene

Frankreichs neue grüne Stadtregierungen
„Populistisch wie der Front National“
von Eberhard Spreng

Bei den letzten Kommunalwahlen hat Emmanuel Macrons „La République en Marche“ eine große Niederlage verkraften müssen. Große Städte ginge in die Hand der Grünen. Aber die machen der Kulturszene, der man eine gewisse Nähe zu den Grünen nicht absprechen kann, derzeit kaum Freude. Einige grüne Ankündigungen lassen einen Abbau der institutionellen Kultur befürchten und eine populistische Betonung von Kiezkultur.

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 20.07.2020  → Beitrag hören

Foto: Eberhard Spreng

Straßburg, Marseille, Lyon, Bordeaux. Und das sind noch nicht alle französischen Großstädte, die seit kurzem von grünen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern regiert werden. Aber kaum waren die im Amt, kamen Gerüchte über eine möglicherweise verheerende neue Kulturpolitik auf. Olivier Py, Direktor des corona-bedingt abgesagten Festival d’Avignon nimmt kein Blatt vor den Mund.

„Die Grünen sind auf Rentabilität und Populismus aus. Sie sind über den Kulturbetrieb sehr schlecht informiert. Sie haben nicht grundsätzlich etwas gegen Kultur, aber sie haben etwas gegen die öffentlichen Theater. In Grenoble begann die konkrete Kulturpolitik der Grünen mit regelrechten Tragödien. Und sie sagen heute beunruhigende Dinge, die an den Front National erinnern.“

Grenoble wird gewertet als der grüne Kultur-Sündenfall. Die Stadt ist seit 2014 in der Hand der Grünen und daher Pilotprojekt grüner Kulturpolitik. Und es war ein den Grünen nahestehender Theaterregisseur, der auch international bekannte Joël Pommerat, der bereits im Jahr 2016 in der Tageszeitung Libération eine frustrierende Zwischenbilanz zog. In Grenoble hatte man dem Orchester „Les musiciens du louvre“ über 400.000 Euro gestrichen, dem berühmten öffentlichen Kulturhaus 100.000, u.s.w. Bürgermeister Éric Piolle verteidigt sich.

„Dass wir hier so viele öffentliche Bühnen haben, hat nicht nur damit zu tun, dass der Staat hier eine wunderbare Dezentralisierungsarbeit geleistet hätte. Diese Einrichtungen lasten auf dem Haushalt Grenobles, die Stadt mit den höchsten Steuern in Frankreich. Sie steht bei der Verschuldung von Städten über 100 Tausend Einwohnern an fünfter Stelle, hat eine negative Sparrate und muss in drei Jahren 20 Millionen einsparen“

Klar ist, mit der Kultur, wie sie einst der legendäre Nachkriegskulturminister André Malraux und der berühmte Jack Lang vertraten, soll Schluss sein. Schluss also mit einer von den Grünen als elitär verschrienen Hochkultur. Aber trotz der Kontroversen in Grenoble, andere nun neu gewählte Bürgermeister halten am eingeschlagenen Weg fest. So Grégory Doucet in Lyon:

„Wir werden den Umfang des Kulturbudgets beibehalten, 20% des Haushaltes. Also wir wollen weiter qualitative Kultur in der Stadt haben. Mir persönlich ist die Kunsterziehung sehr wichtig und dass alle Publikumsschichten Zugang zur Kultur haben. Vielleicht werden wir also die Mittel umschichten, um den Zugang für alle zu ermöglichen.“

Für Lyon heißt das konkret: keine neuen großen Kultureinrichtungen, wie sie der scheidende Gérard Collomb ins Leben rief, statt dessen Stadtteilfeste, Künstler in die Schulen, Förderung der Jungendzentren. Kurios genug: Die französischen Grünen schreiben die „Droits Culturels“, die „Kulturrechte“ auf ihre Fahren, so als wäre das Recht auf Kultur den Menschen bislang vorenthalten gewesen. Doucet will, dass die Bevölkerung sagt, welche Kultur sie will.

„Unsere Kultur hier in Lyon muss zusammen mit der Bevölkerung entwickelt werden, mit den Bewohnern. Das erste, was wir uns vornehmen, sind große Versammlungen für die Definition der Kulturrechte. Wir bringen die Kulturleute aus Theater, Film, Musik, Museen Bibiotheken usw. mit den Bewohnern zusammen, und dazu kommen noch andere: Gewerbetreibende oder Vereine der Sozialarbeit.“

Oper ist den Grünen zu teuer

Das Recht auf Kultur könnte dem französischen Opernpublikum in grünen Städten gegebenenfalls abhanden kommen; in Lyon heißt es, die Bühnenbilder seien für die wenigen Aufführungen zu teuer, in Bordeaux will man die Rechnungsbücher der Oper einer Prüfung unterziehen. Da dürfte es hilfreich sein, dass Frankreichs neue Kulturministerin, der sympathische Politprofi Roselyne Bachelot, eine ausgewiesene Opernliebhaberin ist. Ein Buch über Verdi hat sie veröffentlicht, schrieb untern anderem für das staatliche Musikradio und wurde, 73 jährig, für die Politik reaktiviert. Vom Amt der Kulturministerin hatte die ehemalige Umwelt und Gesundheitsministerin immer geträumt. Vielleicht kann sie den Grünen mit Erfahrungswissen helfen. Olivier Py jedenfalls erkennt in der grünen Kulturmelodie eine alte Leier.

„In den dreißig Jahren, die ich nun schon im subventionierten Theater arbeite, habe ich immer wieder dieselben Dummheiten gehört. Sie kommen immer wieder, wie Ebbe und Flut. Das Theater sei elitär. Aber das Theaterpublikum ist überhaupt keine Elite. Die Theater seien leer. Aber man muss nur die Zahlen betrachten, die Auslastung ist sehr hoch. Wir gingen nicht in die Vorstädte. Aber ich frage mich, wer könnte da das leisten was wir leisten, in Schulen, bei den Vereinen, in Gefängnissen? Dieser Hass auf das öffentliche, populäre Theater ist unbegründet, aber unausrottbar.“

Der von den Grünen tief enttäuschte, eben erwähnte Joël Pommerat berichtet in seinem Artikel auch von einer aufschlussreiche Anekdote: Da bekannte die grüne Kulturdezernentin bei der Eröffnung einer Fotoausstellung in Grenoble fröhlich naiv, noch nie von der Choreografin Pina Bausch gehört zu haben. Vielleicht sollten sich die französischen Grünen mehr Sorgen um ihre eigene Kulturbildung machen, als um die ihrer Stadtbevölkerungen.