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Französische Sommerfestivals
Zwangspausen und Zukunftsvisionen
von Eberhard Spreng

Die französischen Sommerfestivals spielen im französischen Kulturbetrieb eine besondere Rolle. Ihre coronabedingte Absage war für die gesamte französische Theaterszene ein tiefgreifender Schock. Nun überlegen sich die Festivalmacherinnen und Macher, wie sie mit den Absagen zurecht kommen und nutzen die Zwangspause, um sich für die Zukunft neu aufzustellen.

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 19.07.2020 → Beitrag hören

Der Papstpalast bleibt leer (Foto: Eberhard Spreng)

13. April 2020. Der französische Präsident verkündet das Verbot großer Veranstaltungen bis Mitte Juli. Unmittelbar darauf erklärt der Chef des Festival d’Avignon das Aus für die diesjährige Theaterschau. Die Notleidenden sind insbesondere die freien Kompanien, die freien Bühnenarbeiter und die Gewerbetreibenden der Rhonestadt. Sie müssen nun ohne die 100 Millionen an Einnahmen zurecht kommen, die ihnen die Kulturschau jährlich einbringt. Während das Festival selbst durch seine Subventionen finanziell gesichert ist, muss sich Olivier Py ebenso wie die Direktorinnen und Direktoren der anderen abgesagten Sommerfestivals in Frankreichs Süden um die Zukunft kümmern, und das Festivaljahr 2021.

„Die Planung für das nächste Jahr war leider schnell erledigt. Wir haben versucht, die Künstler wieder ins Programm zu nehmen, die für dieses Jahr vorgesehen waren. Schon im Mai waren wir fertig, früher als sonst. Im Wesentlichen bauen wir den Produktionsstau aus diesem Jahr ab.“

Avignon bleibt der internationale Anziehungspunkt Nummer eins in Südfrankreich, aber auch Montpelliers Theaterfestival „Printemps des Comédien“ im Juni und das multidisziplinäre „Festival de Marseille“ haben an Bedeutung gewonnen. Sein Chef Jan Goossens erklärt seinen Umgang mit der Krise.

„Wir erleben einen gewaltigen Verlust dadurch, dass wir fast zwei Jahr lang keinen Dialog mit dem Publikum mehr erleben und in der Stadt nicht mehr präsent sind. Wir wollen das dadurch kompensieren, dass wir einige der Aufführungen des abgesagten Sommerfestivals in den Oktober verlegen.“

Rückkehr zu den Ursprüngen des Festival d’Avignon

Auch das Festival d’Avignon plant im Oktober eine Woche mit einigen Aufführungen, die Teil der abgesagten Sommerschau gewesen wären. Das Programm heißt „Une Semaine d’Art en Avignon“.

„Der Name gefällt dem ganzen Team. Aber er ist allgemein kaum bekannt. Jeder kennt das Festival d’Avignon, aber wer kennt schon die „Semaine d’Art en Avignon“, aber genau so hießen die ersten beiden Ausgaben des Festivals ursprünglich Ende der 40er Jahre. Wegen der Pandemie eine Rückkehr zu den Ursprüngen zu versuchen, hat uns allen Kraft gegeben, uns geholfen. Der Gedanke, dass mit dem Sterben auch etwas Neues entsteht.“

Im 40 Kilometer entfernten Uzès hat Liliane Schaus ein ursprünglich in den 90er Jahren unter anderen von Maguy Marin und Angelin Preljocaj konzipiertes Tanzfestival immer weiter ausgebaut und zusätzlich ein Tanzzentrum angegliedert. Ihr Programm hätte im Juni stattfinden sollen.

„Der Tanz ist von den Schwierigkeiten besonders betroffen. Wie arbeitet man, wenn man sich nicht mehr berühren darf und physisch Distanz halten muss? Ein großes Handikap. Das wird die künstlerischen Handschriften der Choreografen zwangsläufig verändern: Das heißt die Frage, wie Produktionen gearbeitet und vorgeführt werden. Da deuten sich langfristige Veränderungen an.“

Nachdenken über Nachhaltigkeit

Die Corona-Krise beschleunigt aber auch Veränderungen, über die sich Frankreichs Festivaldirektorinnen- und Direktoren schon seit einigen Jahren Gedanken machen. Und das hat auch weitergehende Auswirkungen auf Programmentscheidungen und Programmrichtlinien, wie Jan Goossens für das Festival de Marseille erklärt.

„Für uns stellt sich die Frage nicht, ob wir wie bisher Programm machen können, sondern ob wir das wollen. Denn abgesehen von der Covid-19-Krise müssen wir doch erkennen, dass die ökologische Entwicklung unserer Erde uns zwingt, uns mit nachhaltigeren Festivalformen zu befassen. Auch mit der Frage der insbesondere internationalen Reisetätigkeit. Wir müssen über das Verhältnis von lokal und international neu nachdenken.“

Der ökonomische Fortbestand der subventionierten Festivals steht derzeit nicht in Frage, wohl aber eine grundlegende Festivalpolitik für das neue Jahrzehnt. Vom einzelnen Festival bis zur staatlichen Kulturpolitik denkt man über eine neue Ausrichtung nach.

„Wir müssen uns klar machen, dass wir in einem schwindelerregenden Rhythmus leben. Wir sollten uns mehr Zeit nehmen und den Künstlern mehr Entwicklungszeit einräumen. Auch im Kulturministerium hat man bei der Vergabe von Subventionen begriffen, dass man umdenken muss und mehr Raum lässt für Recherche, andere Produktionszeiträume und einen menschlicheren Rhythmus.“

Corona wird vielen freien Kompanien das Leben kosten, und es zwingt auch die etablierten Strukturen, sich neu zu erfinden.