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„Diaspora Europa“ an der Volksbühne
„Der tote Jude ist der geliebte Jude“
von Eberhard Spreng

Deutschlandfunk, Kultur Heute  – 30.01.2021 → Beitrag hören

Abb. Volksbühne

Das ursprünglich für den Mai 2020 an der Volksbühne geplante und von Shelly Kupferberg und Tímea Junghaus kuratierte Festival „Diaspora Europa“ bringt Minderheiten zu Wort, die in einem immer mehr rechtspopulistischen Klima an den Rang gedrängt werden.

„Sehe ich aus wie Einstein? Nein. Sehe ich aus wie Freud? Neinneinnein“

Der Performer Dor Aloni sucht in seinem Solo „Hitler Baby one more Time“ nach seiner Identität als Jude und stößt doch immer nur auf biografische Splitter. Die Performance ist neben einem weiteren Bühnensolo und zahlreichen Musikveranstaltungen ein künstlerischer Beitrag zu einem vor allem von Diskussionen und Vorträgen geprägten Festival. Gesellschaftliche Minderheiten und ihr Selbstverständnis in Deutschland sollen zu Wort kommen. Zum Anfang des Gesprächs über jüdisches Leben gab die Schriftstellerin und Journalistin Mirna Funk die Richtung vor:

„Der tote Jude ist der geliebte Jude und der lebende Jude konfrontiert natürlich mit internalisierten Antisemitismen, mit denen man sich ungern auseinandersetzen möchte.“

Gibt es überhaupt eine Selbstverständlichkeit im Leben der jüdischen Diaspora? Der Publizist Max Czollek betont, dass…

…“ Jüdinnen und Juden zu 90% heute Migrationshintergrund hat. Und gleichzeitig natürlich nie Teil der Debatte darüber ist, ob sie gut integriert sind oder nicht, weil sie eine andere symbolische Rolle zu erfüllen haben, nämlich die, die Ermordeten zu ersetzen. Ich glaube, dahinter wird etwas unsichtbar und geht etwas verloren nämlich die Suche danach, wie wir eigentlich ein Konzept, Selbstverständnis und letztlich institutionelle Räume schaffen können, in denen diese Art vom innerjüdischer Pluralität aufgehoben wird, um diese Suche nach einer neuen Jüdischkeit fürs 21. Jahrhundert sinnvoll zu gestalten.“

Fremdbild und Selbstverständnis, das ist für deutsche Juden nur schwer in Übereinstimmung zu bringen. Die Geschichte mischt sich in anscheinend belanglose Alltagserfahrungen, wie die junge Medienwissenschaftlerin Lea Wohl von Haselberg erläutert.

„Wenn ich mit Freundinnen oder Freunden auf Flohmärkte gehe und ich tue das mit jüdischen Freundinnen oder mit nicht-jüdischen, dann ist das eine riesige Differenz. Weil das Verhältnis zu dem alten ist in diesem Land für mich sehr aufgeladen. Alte Dinge gibt es in meiner Familie nicht. Es gibt keine alten Dinge, weil die sind ja nicht aufgehoben worden. Es gab nichts, was man mitnehmen konnte.“

Lea Wohl hat diese Erfahrung in der zentralen Diskussion „Opferkonkurrenz, Opferallianz“ erzählt. An ihr nahmen Vertreter der jüdischen und der Roma-Minderheit teil. Das Festival will Antisemitismus und Antiziganismus beleuchten und schafft Echoräume für Kulturwelten von Juden, Roma und Sinti. Klar ist, dass diese Opfergruppen in der deutschen Erinnerungskultur völlig unterschiedlich behandelt werden.

Struktureller Antiziganismus

Deutschland hat seine Auseinandersetzung mit strukturellem und institutionellem Antiziganismus noch vor sich, wie Vertreterinnen der Roma und Sinti betonten. Ein Beispiel: Der ursprüngliche Umgang der deutschen Bahn mit dem Mahnmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma bei der Planung für eine neue S-Bahntrasse in der Nähe des Reichstages. Die Historikerin und Referentin des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, die Sintezza Anja Reuss beklagt…

…“dass es über 40 Jahre gedauert hat, nach Ende des 2. Weltkriegs, dass überhaupt erst mal die Anerkennung des Völkermords von Sinti und Roma durch die deutsche Regierung erfolgt ist und es dann noch weitere Jahrzehnte und einen langen erbitterte Kampf der Minderheit um ein Denkmal gegeben hat und darum, dass dieses Denkmal da steht, wo es heute steht. Das ist auch ein politischer Fauxpas, wenn dieses Land es zulässt, dass dieses Gedenken jetzt gestört wird.“

Ein nun gefundener Kompromiss zwischen der Deutschen Bahn und dem Zentralrat hat einen Konflikt entschärft, der sich eigentlich nie hätte auftun dürfen. Einen hemmungslosen Antiziganismus in Internetforen und Netzwerken und einen kaum noch verschleierten Antiziganismus in Leitmedien bilanzierte ein Vortrag der Netzaktivistin Sonja Kosche.

Die deutsche Öffentlichkeit reagiere falsch auf die verbalen und terroristische Angriffe von Rechts, betont Max Czollek, sie reagiere schockiert in Situationen, die sie eigentlich nicht mehr überraschen dürften. Zu lange schon arbeiteten rechte Kreise systematisch an einem radikalen Umbau der Gesellschaft.