Zwei Ausstellungen im Louvre
Narrengeschichten
von Eberhard Spreng
Die ambivalente Beziehung, die Menschen zur Figur des Narren haben, ist Thema einer großen historischen Ausstellung im Pariser Louvre: „Figures du Fou“. Gleichzeitig zur Narren-Ausstellung eröffnet das Museum noch eine weitere Ausstellung, auch sie rückt eine Figur des Theaters in den Blick: „Pierrot, dit le Gilles“ von Antoine Watteau.
Deutschlandfunk, Kultur Heute – 18.10.2024 → Beitrag hören
„Der Narr spricht in seinem Herzen: Es gibt keinen Gott“ So steht es in den Psalmen der Bibel, wo der schlechte Ruf einer der mächtigsten Figuren in Kunst, Literatur, Philosophie und Theater seinen Anfang nimmt. Der christliche Kontext wird in den ersten Räumen der Ausstellung im Pariser Louvre thematisiert. Ganz am Anfang stehen aufgeschlagene Folianten aus dem Beginn des 14. Jahrhunderts, auf deren Seitenrändern lustige Phantasiegestalten ihr Unwesen treiben: Da erhebt eine Verschmelzung von Fisch und Ritter das Schwert gegen eine doppelköpfige Fabelgestalt mit Narrenmütze. Die Illustration ist nur wenige Zentimeter groß und doch die bildliche Keimzelle einer Schau, die Chefkonservatorin Élisabeth Antoine-König kuratiert hat.
„Wir gehen vor einer ganz kleinen Figur aus – sie ist marginal in jeder Hinsicht. Eine Marginalie am Rand einer Buchseite, und marginal innerhalb der Gesellschaft. Über die Jahrhunderte wächst sie zu einer zentralen Denkfigur in Literatur und Philosophie, und einem wichtigen Akteur der Gesellschaft.“
Sebastian Brants „Narrenschiff“ von 1494 wird zum auflagenstärksten Buch nach der Bibel, eine spätmittelalterliche Satire, die den Eintritt der Narren in die Populärkultur markiert. Im Theater sind vor allem Narrenfiguren aus den Stücken des William Shakespeare bekannt, allen voran der Narr an der Seite des abgedankten Greisenkönigs Lear, der ihn bei rauem Wetter auf einer verlassenen Heide begleitet. Ein Gemälde der französischen Romantik zeigt das. Die Ausstellung „Darstellungen des Narren vom Mittelalter bis zur Romantik“ ist chronologisch aufgebaut und gliedert die Entwicklung dieser archetypischen Figur nach den jeweiligen Epochen. Die bildlich reichste Zeit ist, unter anderem mit Hieronymus Bosch oder Pieter Bruegel dem Älteren, das 16. Jahrhundert und die beginnende Renaissance. Der Narr ist zu einer unverzichtbaren Figur von Volksfest, Fastnacht und Jahrmarkt geworden.
„Wir haben einige Werke in der Ausstellung, die seine Bedeutung beim Fastnachtstheater illustriert. Dafür wurde spezielle kleine Stücke geschrieben: Farcen ohne großen literarischen Anspruch, in denen der Narr eine Hauptrolle spielt: Narr und Theater gehören zusammen.“
In der Narrenrolle als Figur des Theaters wird der Bezug zur kleinen Schwesterausstellung offenkundig, die der Louvre parallel eröffnet. Sie zeigt das gerade frisch restaurierte Watteau-Gemälde „Pierrot, genannt Gilles“, die in weite weiße Gewänder gekleidete Clownsfigur der italienischen Komödie. Antoine Watteau zeigt hier aber auch den listigen Crispin, einen Helden der französischen Komödie. Der Konservator und Ausstellungsmacher Guillaume Faroult erklärt die Zusammenhänge.
„Das Gemälde bringt Figuren aus konkurrierenden Theatertraditionen zusammen: Crispin steht für die Comédie-Française, Pierrot für die italienische Komödie. Während Watteaus Schaffenszeit war diese aber in Paris verboten. Erst durften die italienischen Charaktere auf der Bühne nicht mehr miteinander sprechen, dann hatte nur einer allein das Wort, dann musste er ganz verstummen und wurde zum Pantomimen.“
Am Ende der kleinen Schau stehen Ausschnitte aus Marcel Carnés weltberühmtem Kultfilm „Kinder des Olymp“, wo Jean-Louis Barrault als später Nachfahre dieses italienischen Pierrot auf einem Jahrmarkt als Pantomime einen Uhrendiebstahl bezeugt.
Wie der Narr begleitet Pierrot das Treiben der normalen Leute, kommentiert im Spiel deren Triebe, Listen und Laster, tritt entlang der Jahrhunderte als ein anderer Blick auf das Leben in einen Dialog mit der Welt. Dieser Aspekt interessiert Elisabeth Antoine-König.
„Der Narr ist eine Figur, die uns Fragen stellt. Man weiß eigentlich nie im Voraus, ob er die Verkörperung eines Makels oder eines Ticks ist, oder ob er – im Gegenteil – jemand ist, das diesen Makel anprangert. Ständig steht die Frage im Raum: Es er der Verrückte oder sind wir es?“
Närrische Liebe, eitle Torheit, die klassische Rolle des Narren bei Hofe und weitere Themenschwerpunkte sind reich bebildert. Im Untertitel heißt die Ausstellung: „Du Moyen Âge aux Romantiques“, endet also mit der Romantik und spart den Blick auf die Moderne aus.
An einer Stelle ist Erasmus von Rotterdam zitiert: Die schlimmste Narrheit ist wohl, in einer Welt voller Narren vernünftig sein zu wollen. Der Louvre lädt ein, über die Ambivalenz Vernunft und Torheit in einer opulent bebilderter Schau zu meditieren.