Festival d’Avignon
Ein Rekordjahr für die Stadt und die Region
von Eberhard Spreng
Mit „Yes Daddy“ des palästinensischen Autors und Regisseurs Bashar Murkus endet das 79. Festival d’Avignon, das ganz im Schatten des Krieges im Gaza-Streifen stand und mit einer rekordverdächtigen Platzausnutzung aufwarten kann.
Deutschlandfunk, Kultur Heute, 27.07.2025 → Beitrag hören

Eine karge Bühne, eine Stellwand mit zwei Türen, ein kleiner Tisch. Ein alter Mann und sein Rollstuhl und ein Klopfen an der abgeschlossenen Tür. Der Schlüssel wird gesucht und nicht gefunden, ein junger Mann bricht die Tür auf und schon beginnt zwischen den Beiden ein bedrückendes Beziehungsspiel.
Es scheint, als dringe da der junge Mann ins Zuhause eines alten, hilfsbedürftigen Menschen ein, der sich nicht erinnert, ihn eingeladen zu haben, ihn dann aber als seinen Sohn anspricht und in einer immer komplexeren Szenenfolge als Projektionsfläche für intime Bedürfnisse und Familienspiele benutzt, fürs Vater-Sohn-Spiel, Mutter-Baby-Spiel bis hin zu Missbrauch und blutigen Verletzungen.

Es geht um Manipulationen und die Frage der Machtverhältnisse zwischen zwei Generationen am Beispiel eines alten und eines jungen Mannes. Auch wenn, wie Bashar Murkus klagt, mittlerweile täglich israelische Soldaten zur Einschüchterung vor seinem Khashabi-Theater in Haifa Position beziehen – sein neues Stück enthält sich direkter, auf den Krieg im nahen Osten bezogener Aussagen. Diese und Solidaritätserklärungen mit der Bevölkerung im Gazastreifen waren bei diesem Festival aber an anderer Stelle allgegenwärtig, auch in Gesprächen an denen u.a. die israelische Soziologin Eva Illouz und der palästinensische Politiker und Übersetzer Elias Sanbar teilnahmen, der die aktuelle Lage als global bedrohlich ansieht.
„Die Menschen in meiner Umgebung, die keine Palästinenser sind, scheinen die Gefahr nicht zu erkennen, die dem gesamten Planeten droht. In Palästina und in der Ukraine zeigt sich die Gefahr der Dschungelherrschaft. Wenn diese beiden Widerstandsnester gebrochen sind, wird der Dschungel uns alle beherrschen und nicht nur Palästinenser oder Ukrainer. Diese Barbarei bedroht uns alle.“
Die Kultur gegen die Barbarei in Stellung zu bringen, war schon immer der Anspruch eines Festivals, das in diesem Jahr, genau dreißig Jahre nach einer ersten Erklärung von Avignon gegen die Massaker von Srebrenica, nunmehr, in einer „neuen Erklärung von Avignon“ gegen „genoizidäre Akte“ im Gazastreifen Front macht. Unterzeichnet haben fast alle Leiterinnen und Leiter französischer Theater. Dagegen stehen rechte Medien, die darüber hinaus derzeit ganz allgemein den französischen Theaterbetrieb und seine Subventionen in Frage stellen. Der queere Starregisseur Thomas Jolly, der im letzten Jahr die Olympia-Zeremonien inszenierte, warnte in Avignon vor einem kulturellen Paradigmenwechsel.
„Wir müssen auf diese Infragestellung der Kulturausgaben eine klare Antwort geben. Wir alle wissen um die essenzielle Bedeutung des Theaters für die Bevölkerung. Aber es gibt diesen Diskurs, der einen angeblich „woken“ Kulturbetrieb anprangert und uns diskreditieren will. Zugleich haben aber einige Milliardäre die Bedeutung der Kultur klar begriffen, reißen sich Verlage unter den Nagel, kaufen Fernsehkanäle, steigen mit ihren Milliarden in die zumal immersive Ausstellungslandschaft ein und verbreiten unter dem Deckmantel des Entertainments Ideologien weit abseits unserer republikanischen Werte.“

Dass das immer wieder von rechts vorgebrachte Kostenargument der öffentlichen Kulturarbeit zumindest für sein Festival, für die Stadt und die Region um Avignon nicht greift, betonte Festivalchef Tiago Rodrigues in den letzten Tagen des Festivals.
„Ich weiß von Wirtschaftvertretern aus der Region, dass dieses Jahr in jeder Beziehung ein Rekordjahr wird. Und bitte zur Erinnerung: Jeder Subventionseuro für das Festival generiert sechs Euro Gewinn für die Ökonomie der Region.“
Künstlerisch war das Festival auf hohem Durchschnittsniveau ohne bahnbrechende Erneuerungen, wobei der Tanz deutlich größere Freude fürs Experiment offenbarte als das Theater. Dafür steht exemplarisch Némo Flourets „Derniers Feux“.

Die choreographierte Installation des Nachwuchskünstlers verweigerte sich performativer Vollendung, zeigte nur das Spiel mit dem Material, ohne es zu einer Bildwelt zusammenzufügen. Wütende Proteste und verhaltener Jubel waren in Avignon die Reaktionen des gespaltenen Publikums. Ob das Ganze nun Scherz oder Avantgarde ist, kann demnächst im Berliner Tanz im August weiter diskutiert werden.