Ausstellung in der Bibliothèque Nationale
Das Buch vom Ende der Zeiten
von Eberhard Spreng
Ein Buch, von Gott überreicht, verschlossen von sieben Siegeln, das nur ein Lamm öffnen kann, Heerscharen von Plagegeistern, vier erschreckende Reiter, Hunger, Krieg und Tod, jüngstes Gericht und vieles mehr. Das erzählt die Apokalypse des Johannes, der nun in der Bibliothèque National de France eine Ausstellung gewidmet ist.
Deutschlandfunk, Kultur Heute – 10.03.2025 → Beitrag hören

Ein kurzer Ausschnitt aus dem „Melancholia“ Film von Lars von Trier steht wie eine visuelle Vorahnung am Anfang der Apokalypse-Ausstellung in der Bibliothèque National de France. Auf die biblische Erzählung blickt man gerne in unruhigen Zeiten, wie Kuratorin Jeanne Brun erklärt.
„An die Apokalypse denkt man in Zeiten der Krise, wenn die üblichen Symbolsysteme, mit denen wir uns die Welt erklären, nicht mehr ausreichen. Das war in Übergangszeiten der Fall, etwa beim Übergang vom Mittelalter in die Neuzeit, oder im 19. Jh. mit seiner industriellen Revolution.“
Apokalypse meint im griechischen Wortsinne nicht Katastrophe, sondern „Enthüllung“, oder christlich: „Offenbarung“. Sie ist kein Ereignis, sondern eine Reihe von Visionen ihres Autors. Erste bildliche Zeugnisse dieser Vorstellungen sind illuminierte Handschriften aus Nordspanien. Zu diesen Beatus-Codices genannten Werken zählt der Beatus von Saint Sever mit seinen 105 Illustrationen aus der Mitte des 11. Jhs.: Die Pariser Schau zeigt einige solcher Werkzyklen.
„Aus dem Mittelalter stammen die berühmten Wandteppiche aus Angers, von denen wir drei Stücke ausstellen dürfen. Wir zeigen auch den kompletten Apokalypse-Zyklus von Dürer, dessen 15 Holzschnitte für Jahrhunderte prägend waren. Die Aquarelle von William Blake sind für mich ein Höhepunkt der Ausstellung: Sein „The vision of the last judgement“ ist ein wunderbares Flimmern von Details und fast schon surrealistisch.“
Das Aquarell von 1808 illustriert den Höllensturz beim jüngsten Gericht als symmetrisches Wimmelbild, das das Leiden als ästhetisches Ereignis feiert, als Pose, als elegantes Desaster.
„Mit dem Text der Apokalypse entsteht in unserer Kultur eine morbide Faszination für gewalttätige Ereignisse. Gewaltereignisse als Genuss, Amüsement beim Blick auf das, was den Verdammten passiert. Ein ambivalentes Spiel: Wir sollen vom Bösen abgeschreckt werden und sind zugleich wie hypnotisiert von Darstellungen apokalyptischer Gewalt.“
Je mehr sich die Ausstellung der Moderne nähert, umso mehr verliert sich das Heilsversprechen der Apokalypse, an deren Ende ja das
„himmlische Jerusalem“ stehen soll.
„Aus dem 20. Jh. kommen Werke, die das Thema der Apokalypse nunmehr als pure Katastrophen begreifen. Der österreichische Philosoph und Dichter Günther Anders nannte das eine Apokalypse ohne Reich.“
Werke von u.a. Odilon Redon, Ludwig Meidner, Otto Dix und Wassily Kandinskys stehen für eine Epoche, die für die Überwindung ihrer Plagen, Geißel und Sünden nun nicht mehr auf himmlischen Beistand rechnet. Zu diesem Blick auf die Moderne gehören auch Filmklassiker wie Alain Resnais „Hiroshima, mon amour“ und Chris Markers Fotoroman „La Jetée“, zu deutsch: „Am Ende des Rollfelds“.
„’La Jetée’ von Chris Marker öffnet den Blick auf den letzten Teil der Ausstellung: Den „Tag danach“. Der Protagonist reist in die Vergangenheit und in die Zukunft, mit verbundenen Augen. Denn er muss raus dem Trugbild der Wirklichkeit und seine Augen öffnen für die Wahrheit.“
Gleich nebenan stellt ein mehrere Meter breites Gemälde eine gewaltige Flammenwolke dar. Anne Imhofs Bild von 2022 ist auch das Plakatmotiv: Diese Explosion ist eine Seite der apokalyptischen Zeiterfahrung, die einer zerstörerischen Plötzlichkeit. Die andere ist Tacita Deans Schwarz-Weiss-Foto: „The Book End of Time“ von 2013, die Darstellung eines alten, zum Mineral erstarrten Buches, dem Überrest einer vergangenen Zivilisation.
Die Pariser Schau „Apokalypse – Gestern und Morgen“ zeigt eine der wirkmächtigsten Erzählungen der biblischen Literatur und ihre Wechselwirkungen mit unseren zeitgenössischen Erfahrungen. Eine kunsthistorisch interessante Chronik mit nicht durchgängig fesselnder Sinnlichkeit.