F.I.N.D. an der Schaubühne
Valentina oder die Macht der Sprache
von Eberhard Spreng
Beim diesjährigen Festival Internationale Neue Dramatik in der Schaubühne ist Caroline Guiela Nguyen „Artist in Focus“ und mit drei Arbeiten vertreten. In einer Vorabpremiere stellte sie ihr neues Stück „Valentina“ vor.
Deutschlandfunk, Kultur Heute – 10.04.2025 → Beitrag hören

Valentina ist sprachbegabt. Schnell lernt das neunjährige Mädchen aus Rumänien. Sie hat mit ihrer herzkranken Mutter das Heimatland verlassen, damit diese sich in Frankreich behandeln lassen kann. Valentina muss für ihre Mutter übersetzen und deshalb immer öfter die Schule schwänzen. Und da sie nichts verraten darf, muss sie in der Schule auch immer öfter lügen, um ihre Abwesenheiten zu begründen.
Innerhalb der Rahmenhandlung eines Märchens erzählt Caroline Guiela Nguyen die Geschichte von Valentina, die mit der Sprache für das Überleben der Mutter kämpft und dabei ein immer komplizierteres Lügengebäude errichtet. Nguyens neues Stück ist ein Opfermartyrium und kreist um einen narrativen Kern, der als Schlüsselerfahrung postmigrantische Lebenswelten prägt: Die sprachlich besser integrierte Kindergeneration muss die Eltern durchs Dickicht des Exils führen. Lebenschancen und Sprachbeherrschung, das Thema treibt die Tochter einer vietnamesischen Einwanderin, die Autorin und Regisseurin Caroline Guiela Nguyen um.

“Ich habe früher Tschechow, Racine, Claudel und andere große Klassiker inszeniert. Aber mir wurde klar, dass ihre Sprache eine Sphäre ist, in der sich Macht ausdrückt. Heute will ich in meinem Theater vermeiden, dass die Sprache zum Instrument der Herrschaft wird. Die Bühne soll für keinen Schauspieler zum sprachlichen Exil werden.“
Sprachexil und Exilsprache sind auch in der Performance „Icirori“ der burundischen Künstlerin Consolate ein Thema. Um ein leeres Karree sitzt das Publikum, auf Leuchttafeln erscheinen Texte, mal nur als Schrift, mal begleitet von Stimmen aus den Lautsprechern.
„Du hast Glück hier zu sein“. „Dein Name klingt wie Schokolade“ „Komisch Deine Haare, sehen aus wie verbranntes Stroh.“ Rassistische Sprüche wie diese bekommt das burundische Mädchen Consolate im belgischen Exil zu hören. Die nun erwachsene Künstlerin verarbeitet ihre Erfahrung der Zwangsadoption während des Bürgerkriegs in Burundi. Ohne jede Verkörperung. Allein die Sprache soll das Verbrechen wieder gut machen helfen. Am Ende murmelt das Publikum einen Text, der das Verbrechen der ehemaligen Kolonialmacht anprangert. Es klingt wie ein Gebet.
Sprache wird zum Refugium, während Rechte am liebsten die Erinnerung an Rassismus und Kolonialismus tilgen würden. Sie blasen zum Angriff auf Orte der Verständigung und kulturellen Vermittlung. Das war Thema einer Diskussion, bei der Autor und Regisseur Milo Rau die Bedeutung der Sprache im Kampf um Diskursräume betont.
„Ich glaube dass man die Entwertung der Bedeutsamkeit der Geschichte per so, der Entwertung von Moral per se erlebt, etwas wie eine tektonische Verschiebung. Wir merken, wir sprechen über Fakten und andere sprechen nicht über Fakten. Es ist ganz wichtig, dass wir als Menschen, die mit der Sprache arbeiten, die Sprache nicht hergeben, den Diskurs nicht hergegeben, die Darstellung, die Repräsentation nicht hergegeben für irgendwelche lokalen Diskursgewinne, die man gerade politisch brauchen kann.“
Also nicht mitmachen beim Zerstören der Sprache als verbindlichem Ort der Verständigung. Am Ende der Debatte stand die Annahme, dass die Rechte kaum noch, wie früher einmal, andere Weltbilder durchsetzen will, sondern einfach nur die Räume austrocknen, in denen der Kampf der Argumente stattfindet. An der Schaubühne widersetzt man sich dieser Tendenz in den F.I.N.D.-Gastspielen mit einer Polyphonie der Stimmen, die Caroline Guiela Nguyen nach Jahren der Diversitätsdebatten gerne in einen neuen Universalismus zusammenführen würde:
„Der alte Universalismus war mir immer suspekt. Man sagte mir, Molière sei universell, aber in diesem Universalismus fühlen sich viele Menschen nicht Zuhause. Andererseits sind die angloamerikanischen Identitätstheorien mit ihren diversen Minderheitendiskursen auch nicht ausreichend. Ich möchte gerne an dem Gedanken einer gemeinsamen Sprache festhalten, einem neuen Universalismus, der diesmal von Minderheiten ausgeht.“