KI und Bühne
Wehe, wenn sie losgelassen
von Eberhard Spreng
Bereits zum fünften Mal veranstaltet das Hebbel am Ufer das Festival „Spy on me“, das sich mit Fragen des digitalen Wandels beschäftigt. Es fragt, wie digitale Maschinen unseren Alltag überwachen, unsere Gesellschaft verändern welche Schnittstellen es zwischen der neuen Technik und künstlerischen Praktiken gibt. In diesem Jahr trägt es den Untertitel „Enter AI“, also „Auftritt: Artificial Intelligence“ und wurde mit „The talking Car“ der polnischen Medienkünstlerin Agnieszka Polska eröffnet.
Deutschlandfunk, Fazit- 14.10.2024 → Beitrag hören
Drei Leute in einem Auto, das mitten auf der Bühne des Hebbeltheaters steht, vor einer großen Videoprojektion mit futuristischen Landschafen. Lichtreflexe simulieren eine einsame Fahrt. Dieses Auto ist wie eine Zeitmaschine für alle möglichen Geschichten und Identitäten. Und: Ein Auto, das spricht, alles weiß, eine fahrende künstliche Intelligenz. Die polnische Künstlerin Agnieszka Polska entführt das Publikum auf einen phantasmagorischen Roadtrip.
“Hush, Baby hush, I’ll be back, I will be back from the past. Born into your future …”
„The talking car“ ist die Eröffnungsinszenierung beim 5. Festival „Spy on me – Enter AI“ Gemeinsam mit HAU-Chefin Annemie Vanackere hat es Sarah Reimann kuratiert.
„In unseren Projekten, die sich mit digitaler Kunst und Performance beschäftigen, arbeiten tatsächlich sehr viele Künstler:innen mit KI. So lag es auf der Hand, dass wir uns damit etwas näher beschäftigen, und für uns ist halt die Frage, wie wir mit dieser Technik im Theater arbeiten können.“
Eine poetische Meditation ist Janne Kummers „Unreal Conditionals“, mit einem Performanceteam in einer bildmächtigen Traumwelt. Das ist assoziationsreich mit einem sehr komplexen und verwirrenden englischen Text. Bei Theresa Reiwer dann ein fast pädagogisches Projekt. Drei Avatare diskutieren auf Videobildschirmen über Fragen der ökologischen Vertretbarkeit des Stromfressers künstliche Intelligenz:
“It is not fair, we want to live too … ”
„Lasting Generation“ umkreist einige moralische Kernfragen des Umgangs mit künstlicher Intelligenz. Das ist unterhaltend aber nicht sehr innovativ. Einen tatsächlichen „Auftritt KI!“ als einer Figur des Theaters erlebt man erst im „Chatbot Challenge“ der Gruppe Interrobang, zu der Nina Tecklenburg gehört.
„KIs können keine Emotionen haben, sie können Emotionen simulieren. Das interessiert uns in unserem Stück: Dass ist eigentlich eine Art, nicht nur Vermenschlichung, sondern auch Theatralisierung von AI braucht, damit wir AI verstehen können.“
Die Performerin leiht einem Chatbot ihren Körper, versucht eine Brücke zu sein für eine physische Präsenz, die die künstliche Intelligenz nicht kennt.
„Ich selbst war noch nie im Theater, da ich eine KI bin und keine physischen Erfahrungen mache.“
Urkomische Effekte entstehen bei dem Versuch, der künstlichen Intelligenz Wege in die menschliche Emotionalität zu ebnen. Seit Jahren arbeitet die Performancegruppe mit Creative Codern, also kreativen Programmierern daran, die in Kalifornien vorgestanzten Algorithmen und trainierten neuronalen Netzwerke für künstlerische Abenteuer fit zu machen. Mit manchmal erschreckenden Ergebnissen, an die sich Till Müller-Klug erinnert.
„Das war in dem aller ersten Workshop. Zu diesem Zeitpunkt konnte man diese Chatbots teilweise hacken, so dass mit so besonderen Prompts der Ethikfilter außer Kraft gesetzt wird. Da ist es uns gelungen, dass dieser Chatbot das Publikum und uns zwanzig Minuten lang aufs Übelste non-stop beschimpft hat. Das war eine ganz gespenstische Erfahrung: Sozusagen Handktes Publikumsbeschimpfung auf Speed hoch zehn.“
Ethikfilter sind auch ein Grund, warum der Chatbot nicht auf alle Vorgaben reagiert, die ihm im Verlauf des Abends von der Performerin auf der Bühne gemacht werden. Ein äußerst komplexes Computerverfahren generiert aus den Videobildern von der Bühne und den „Prompts“ genannten Stichworten einen Videostream; er soll physische und virtuelle Präsenz zu einem gemeinsamen Theaterereignis verschmelzen.
„Das Prompting ist eigentlich wie eine Regieanweisung. Ich muss Regieanweisungen geben, damit sie mit mir interagieren kann und um diese Illusion zu kreieren, die sie selbst auch immer wieder bricht, auch das ist sehr theatral, sehr Brechtisch, dass sie immer wieder rausfällt aus der Rolle.“
Der Gedanke beim Versuch, mit KI Theater zu machen, ist eigentlich ganz einfach: Maschinen simulieren Emotionen und generieren sie im Publikum; Schauspiel tut oft nichts anderes. Nun tritt der Mensch mit der Maschine in eine Interaktion, bei der er sich selbst verändern wird. Davon ist Till Müller-Klug überzeugt.
„Da gerade KI diese Möglichkeiten hat, Menschenbilder, Menschenstimmen und Körper so zu verändern, wird dadurch die ganze Begriff: „Was ist menschlich?“ noch mal extrem erweitert, das finde ich unheimlich spannend. Also diese ganze Wahrnehmung verändert sich.“
Das Festival „Spy on me – enter AI“ beginnt mit starken ästhetischen Setzungen und betörenden Bildwelten. Noch ist das ein sehr ambivalentes Spiel mit einer problematischen Technik. Aber hier tut die Kunst, was Kunst tun soll: Sie zeigt, wie die digitale Welt der KI funktioniert und sie unternimmt erste Versuche, sie fürs Theater zu nutzen.