Philippe-Quesne-inszeniert-Vampire-s-Mountain-in-Hamburg

Uraufführung in Hamburg
Aus den Bildern vertrieben
von Eberhard Spreng

Zuletzt verblüffte der französische Autor, Regisseur und Bühnenbildner Philippe Quesne mit der Theaterproduktion „Garten der Lüste“ sehr frei nach Hieronymus Bosch. Der Bilderregisseur hat nun am Hamburger Schauspielhaus wiederum mit zahlreichen kunstgeschichtlichen, musikalischen und literarischen Verweisen eine Vampir-Show inszeniert, für die er Akteurinnen und Akteure der eigenen Theatergruppe mit denen des Hamburger Schauspielhauses zusammenbrachte: „The Vampire’s Mountain”

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 17.10.2025 → Beitrag hören

Foto: Martin Argyroglo

Am Anfang steht ein großes Staunen: Da sind sieben verlotterte Vampire aus einer Versenkung auf die Vorderbühne gekrochen, stellen sich mit dem Rücken zum Publikum auf und betrachten einen dichten Fichtenwald auf einem großen Bühnenprospekt. So als gäbe es da ein Bild zu bewundern und so als wüssten sie gar nicht, dass sie für das Publikum Teil dieses Bildes sind. Eine Ambivalenz, die man als eine große Metapher verstehen kann: Da steht die Menschheit vor einer Umwelt, die sie als Bild betrachtet und dabei vergisst, dass sie ein Teil vor ihr ist. Aufgesteckte Eckzähne kennzeichnen die Akteurinnen und Akteure recht anschaulich als Blutsauger, die sich sogleich, eine nach dem anderen, recht lustig in einen aufrecht stehenden Sarg stellen und mit reichlich Bühnenebel einräuchern lassen. Dann klappt der Sargdeckel wieder auf und damit ist das Spiel um die Vergänglichkeit des Daseins eröffnet, in das zusätzlich eine Bachkantate auf Basis einen berühmten Michael-Franck-Gedichtes einstimmt.

„Ach wie nichtig,
Ach wie flüchtig
Sind der Menschen Tage!
Wie ein Strom beginnt zu rinnen,
Und mit lauffen nicht helt innen,
So fährt unsere Zeit von hinnen.“

Man mag den Abend des an Kunstgeschichte geschulten Bilderregisseurs für eine lustig-ernste Vanitasdarstellung halten, mit seiner Abfolge von skurrilen und kindlich-verspielten Verrichtungen, dem wiederkehrenden, heiseren Fauchen und Lachen.

Aber da ist auch, außer dem milden, melancholischen und behutsamen Grundsound, der diesen Regisseur immer auszeichnet, auch ein unerbittlicher, erster dramaturgischer Kern: Denn zuerst verschwindet das gewaltige Waldprospekt, um einer verschneiten Berglandschaft Platz zu machen, bei der man sich gerne an Caspar David Friedrichs Gemälde „Der Watzman“ erinnert fühlen darf. Hier gibt es, so sagt man uns, eine Rainer- Maria-Rilke-Schlucht und eine Sigmund Freud Grotte. Hier wird von den gar nicht lichtscheuen Vampiren mit Skiern hantiert und mit den Skeletten von verschollenen Bergtouristen. Aber dann sinkt auch die von der Gletscherschmelze verzehrte Bergwelt buchstäblich auf den Boden und gibt den Blick auf eine von knallnüchternem Licht beleuchtete, ziemlich kahle Bühne frei. Dieser Vampire-Menschheit geht also mit der zerstörten Umwelt auch ihre Kulisse, ihr Bühnenbild verloren. Die von ihnen betriebene Umweltzerstörung bedeutet hier auch eine Zerstörung der kulturellen Bezugspunkte vor allem der Romantik, in der die Vampir-Stories Literatur wurden. Einer der Vorreiter ist Lord Byron, der das legendäre Jahr ohne Sommer 1816 zum Anlass nahm für seine Dystopie „Dunkelheit“:

„Und dann wieder warfen sie sich mit Flüchen in den Staub und knirschten mit den Zähnen, die wilden Vögel kreischten und flatterten erschrocken auf den Boden, und schlugen mit ihren nutzlosen Flügeln. Die wildesten Tiere kamen zahm und zitternd und Vipern krochen und wanden sich unter die Menge. Und der Krieg der für einen Augeblick vorbei war, fräste sich erneut. Eine Malzeit wurde mit Blut erkauft.“

Über große Müdigkeit und Verdruss wird nun im Ensemble geklagt. Wald und Bergwelt sind verschwunden und mit ihnen erlebt es die Vertreibung aus den Bildern. Was bleibt, heißt Performance, pure Produktion von Bühneneffekten. Der Auftritt der Zwillinge aus Stanley Kubricks „The Shining“ soll performt werden, und dazu sollen alle ein letztes Mal beitragen.

„Come, play with us“

In Kubricks berühmten Film bedeutete diese Szene für den kleinen Danny, dass sein Blick auf die äußere Welt nun dem hellseherischen Blick auf den Schrecken der Existenz Platz macht. Wieder ein Hinweis auf den Wechsel der Sichtweisen, mit denen Quesne gerne experimentiert. Eine Transformation in eine Spezies in einem anderen Biotop und eine andere Spielform steht am Ende des Abends: Aus den Vampiren werden Fledermäuse, auch dies ein mit heiligem Ernst performter Spaß. Philippe Quesne hat einen ungemein melancholischen Welt- und Selbstverlust inszeniert, in dem Vampire für eine Menschheit stehen, der man die Zerstörung ihrer Umwelt gar nicht zum Vorwurf machen kann. Zu unschuldig, naiv und herzerreißend hilflos agieren sie. Großes Glück am Hamburger Schauspielhaus, bei einem Abend, der mit großer Zartheit vom Weltenende als einem Ende der Bilder erzählt.