Hito Steyerl Installation
Deep time, junk time
von Eberhard Spreng
Die Fondaziona Prada unterhält verschiedene Standtorte in der norditalienische Metropole. Das Osservatorio in der berühmten Galeria Vittorio Emanuele II ist ein Showroom für zeitgenössische Positionen im Schnittpunkt von Visual Art und neuen Techniken. Hier zeigt die Berliner Video-Künstlerin Hito Steyerl ihre Installation „The Island“. Ein neuer 26-minütiger Film ist Mittelpunkt der Schau.
Deutschlandfunk, Kultur Heute – 10.12.2025 → Beitrag hören

Ein Mann in roter Fantasy-Kleidung hetzt durch ein malerisches Dorf der dalmatinischen Küste und treibt mit seinem Starwars-Lichtschwert eine diffuse Touristenhorde auseinander. Im neuen Film der Video-Künstlerin Hito Steyerl hat dieser Superhero einen bedeutenden Auftrag.
“Hello, my name is Flash Gordon and I am here to save the world”
„Die Welt will er retten“, sagt Mark Waschke, der hier einen lustigen, etwas unrasierten und etwas lächerlichen Helden spielt. Den Schauspieler sah man wiederholt in Arbeiten der Videokünstlerin. Er steht hier auf der vordergründigsten von gleich mehreren visuellen Erzählebenen, die Hito Steyerl ineinander verschränkt.
„Es geht um Archäologie, Quantenphysik und Faschismus. Und all das auf Korčula, einer kleinen Insel in Dalmatien an der Adria. Alle diese Elemente knallen in dieser Installation aufeinander, die hoffentlich auch Kindern eine Freude bereitet.“

In flotter Montage, durchaus kindgerecht, flirren Ki-generierte Bilder von Fanclubs, Drohnenflüge über das malerische Korčula, Trickanimationen von Fantasy-Gestalten über eine Leinwand. Verschiedene Erzählstränge greifen ineinander. Den Kontrapunkt zu dem 26-minütigen Film bilden große Hohlkugeln mit Videoprojektionen KI-generierter Unterwasseraufnahmen. Diese Meeresansichten bewahren eine andere Zeitlichkeit.
„Es geht um die Entdeckung eines neolithischen Erbes, fünf Meter unter der Meeresoberfläche. Es soll 7000 Jahre alt sein. Die Fundstelle liegt vor der Insel Korčula. Das fasziniert mich ungeheuer.“

„Deep Time“ – eine Tiefenzeit nennt Hito Steyerl diesen verborgenen geologischen Erfahrungsraum und stellt ihn gegen eine medial verwirrte, kapitalistisch verzerrte und und technologisch-disruptive „Fake Time“.
„Man kann das definitiv gegeneinander stellen. Das ist ja jetzt eine künstlerische Arbeit, in der ich versucht habe, diese Ebenen ein bisschen zu isolieren und aufeinander knallen zu lassen wie in einem Teilchenbeschleuniger.“
Teilchenbeschleuniger! Das Stichwort öffnet den Blick auf eine wissenschaftliche Metaphorik, die der neuen Arbeit zugrunde liegt. Die des Sprungs zwischen verschiedenen Realitätsebenen. Der kroatisch-kanadische Literaturwissenschaftler Darco Suvin hatte ihn als elfjähriger Junge erlebt, als sein Gehirn sich in höchster Gefahr in eine Science-Fiction-Situation der Selbst- und Weltrettung hinein imaginierte. Er spricht im Film über seine Erinnerungen als jüdischem Kind im nazi-okkupierten Kroatien und fragt sich, wie auf den aktuellen Faschismus 2.0 reagiert werden sollte. Der Quantenphysiker Tommaso Calarco wiederum meditiert über den Zusammenhang von Wissenschaft und Weltbild.
„Wie kommt es, dass alle großen wissenschaftlichen Theorien, die Kopernikanische Revolution, Newtons Mechanik, Einsteins Relativitätstheorie allesamt zu einer neuen Weltanschauung führten und zu neuen Erzählformen, nicht aber die Quantentheorie?“
Die Frage bleibt unbeantwortet, aber ganz offensichtlich versucht Hito Steyerl in ihrer inspirierend verspielten und überaus unterhaltenden Arbeit immerhin eine Skizze fürs Erzählen im Zeitalter der Quantenphysik.

Sie zeigt uns den Untergang einer vor 7000 Jahren einstmals tatsächlich künstlich angelegten Insel als Metapher für den infolge Klimaschock bevorstehenden Untergang heutige Küstenstädte. Sie zeigt uns also Geschichte als Bild für die Zukunft. An anderer Stelle parodiert sie die KI-Begeisterung für die von ihr generierten virtuellen Realitäten.
“Nothing equals your customised AI-Slop-Cruise: Experience the sunshine in full virtual reality: No queues, no mosquitos, definitely no locals …”
„Kein Schlangestehen, keine Mücken, keine Einheimischen!“ Verspricht hier die Werbeparodie in Hito Steyerls Film, der sogleich noch gefährlichere Formen der Manipulation adressiert: Die so genannte Slopaganda, das heißt der digitale Brei aus kI-generierten Clips, mit denen in sozialen Netzwerken für rechte Autokraten Stimmung gemacht wird.
Hito Steyerl arbeitet mit Assoziationen und Analogien und entwirft ein spielerisches Sittenbild aktueller Medienpraktiken. Als Ausstieg aus mentaler Verwirrung schlägt sie eine Metaphorik vor, in der das Element Wasser, Musik und Quantenphysik zentrale Rollen spielen – Eine andere Zeitlichkeit, die jenseits aktueller menschlicher Kulturpraktiken verortet ist.