Memorial Robert Wilson
Ein langes Schweigen
von Eberhard Spreng
Robert Wilson nahm die Nachricht von seiner todbringenden Erkrankung im Sommer zum Anlass, in den letzten Wochen seines Lebens bereits laufende Projekten aktiv voranzubringen. Aber auch um sich über eine Reihe von vier Trauerfeiern Gedanken zu machen, die in diesem Herbst an den Ausnahmeregisseur erinnern. Eine fand in Paris statt.
Deutschlandfunk, Kultur Heute – 08.11.2025 – Beitrag hören

Kann die Bühne Trauer tragen? Fragt man sich angesichts des schwarzen Vorhangs hinter einer schwarzen Vorderbühne, auf dem ein schwarzer Mikrofonständer mit schwarzem Mikrofon steht. Und um die Abwesenheit der sonstigen Theaterbilder mit einer Abwesenheit der Töne noch zu steigern, hat sich der im Sommer verstorbenen Regisseur für den ersten Teil seines Memorials einen Moment der Stille gewünscht. Eine halbe Stunde dauert nun ein beseeltes Schweigen, für das sich die Theatertrauergemeinde versammelt hat. Das leise, weit entfernte Rollgeräusch einer U-Bahn ist im vier-Minuten-Rhythmus zu ahnen. Oder ist das eine subtil gepegelte Einspielung? Derweil fällt das Licht nicht auf die Bühne, sondern ins Publikum, wechselt leicht Intensität und Richtung. Es ist eine Inszenierung, die um den Ursprung aller Wilson-Inszenierungen kreist: Die Erfahrung der Leere. Der ehemalige Kulturminister Jack Lang beendet dies mit einer kurzen Rede. Er war zunächst Gründer eines legendären Studententheaterfestivals im ostfranzösischen Nancy, das 1971 Wilsons ersten großen Erfolg „Deafman Glance“ einlud. Frankreich wurde schlagartig aufmerksam auf den amerikanischen Regisseur.
„Mein lieber André“, so zitiert Jack Lang einen offenen Brief des Poeten Aragon an den Freund André Breton, „das Wunder, das wir erhofften, ist geschehen: Nie sah ich etwas so Schönes. Kein Schauspiel reicht an dieses heran. Es blickt zugleich mit offenen und mit geschlossen Augen in die Welt, es mischt Wirklichkeit und Traum.“
Mit großer Eleganz hält sich der berühmte Kulturpolitiker Jack Lang mit seinen persönlichen Erinnerungen an Robert Wilson zurück und zitiert statt dessen den Poeten Louis Aragon, der sich vom Theater eine Wiederbelebung des Surrealismus versprach und genau dies in Wilsons erstem französischen Erfolg „Deafman Glance – Le Regard du Sourd“ erfüllt sah.
Einige der älteren Menschen im Publikum werden sich an diesem Abend noch an die Aufführung erinnern. Und nicht ohne Grund findet das französische Memorial im Théâtre de la Ville statt. Es war in den letzten Jahrzehnten zum festen Arbeitsort für den amerikanischen Regisseurs geworden. Hier sah man vor Jahren zum Beispiel Isabelle Huppert in einem Solo als Königin Mary, viele Jahren nachdem sie Virginia Woolfs „Orlando“ in einer der großen Robert-Wilson-Inszenierungen der 1990er verkörpert hatte.
„Wer hat es besser verstanden als er, mit Worten Musik zu machen, Geräusche in Sprache zu verwandeln. Wer konnte besser als er den Stillstand in Bewegung bringen, den Zwang in Freiheit verwandeln. Er hat Kindheit, Jugend und Alter vereinigt, Freude und Traurigkeit, Bewusstsein und Traum, Melancholie und Glück. Kurven und Geraden. Lärm und Stille.“
Sichtlich ergriffen und nervös versucht die Aktrice, mit ihrem Auftritt Robert Wilson und den außergewöhnlichen Erfahrungen ihrer gemeinsamen Zusammenarbeit gerecht zu werden. Im Anschluss erinnerte der langjährige Mitarbeiter und künstlerische Direktor des 1992 von dem Regisseur gegründeten Watermill Centers, Charles Chemin, an Robert Wilsons überbordende Kreativität auch weitab der Bühnen.
„Das ist eine Geschichte, die in einem sehr schicken europäischen Hotel spielt, wo er um drei Uhr Nachts eine Papua-Statuette entdeckt. Er will sie mit Blumen umrahmen, verlässt kaum bekleidet sein Zimmer, macht sich zuerst auf seinem Stockwerk auf die Suche nach Blumen, dann auch auf den anderen Etagen des Hotels und bringt sie alle in sein Zimmer. Höchst vergnügt erzählte er mir am nächsten Morgen von den Gesichtern des Hotelpersonals, als sie sein Werk entdeckten. Lauter Blumen und ein Papua-Kunstwerk in der Mitte.“
Nach einem New Yorker Memorial, und nach Paris, wird auch in Berlin und anschließend in Mailand an Robert Wilson erinnert und in jeder der vier Städte wird das auf andere Weise geschehen. Zu facettenreich und vielfältig ist das Werk des Opern- und Theaterregisseurs und seiner jeweiligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
In Paris beendete die Violinistin Jennifer Koh mit einer mutwillig wilden und emotional aufgeladenen Interpretation der Bachschen Chaconne einen Gedenkabend, der so unendlich still und meditativ begonnen hatte.