Yana-Ross-inszeniert-drei-der-sechs-Folgen-von-Knausgards-Autobiografie

Knausgårds Autobiografie auf der Bühne
Karl Ove im Bühnenplunderland
von Eberhard Spreng

Zwischen 2011 und 2017 kamen die sechs Folgen „Sterben“, „Lieben“, „Spielen“, „Leben“, „Träumen“, und „Kämpfen“ von Karl Ove Knausgårds autobiografischer Romanfolge „Min Kamp“ in Deutschland heraus. Aus ihnen hat die lettisch-amerikanische Regisseurin Yana Ross die ersten beiden und den letzen Teil für ihre Inszenierung „Sterben Liebe Kämpfen“ zusammengefügt und am Berliner Ensemble auf die Bühne gebracht.

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 02.03.2023 → Beitrag hören

Foto: Matthias Horn

Ein Vielzahl von Podesten ist auf die Bühne des Berliner Ensembles gebaut. Sie bilden so etwas wie eine sehr flache Pyramide, an deren Spitze ein kleines Bücherregal und ein Schreibtischchen thronen. Rechts steht eine Küchenzeile mit allerlei Haushaltsplunder, links ist Erdreich und unten eine kleine Wasserfläche eingelassen. Die Bühne der Bettina Meyer markiert so etwas wie die mentalen Räume, in denen sich der Schriftsteller und Familienvater Karl Ove Knausgård mit erheblichem Widerwillen orientieren muss. Gabriel Schneider spielt den berühmten Autor in dieser Sammlung von Ausschnitten aus dessen autobiografischer Romanfolge als permanent aggressiven und unterschwellig verunsicherten Mann.

„Ein paar Wochen, nachdem der Roman vollendet war, begann mein Leben als Vater in Elternzeit und unser Plan sah vor, dass ich bis zum nächsten Frühjahr zu Hause bleiben würde, während Linda das letzte Jahr ihrer Ausbildung an der Staatlichen Bühnenhochschule, dem Dramatiska Institut, absolvierte.“

Ein Schriftsteller, eine Lyrikerin und die gemeinsame Care-Arbeit für ihre erste Tochter Wanja, da sind häusliche Konflikte vorprogrammiert. Kathleen Morgeneyer verkörpert die Mutter mit einer stillen Resignation, so als nähme ihr Spiel das spätere Scheitern der Ehe, das Ende aller Illusionen und jeder Romantik schon vorweg.

LINDA: Und was hast du gemacht, als ich mit ihr zu Hause war? Hast du sie da vielleicht morgens und abends genommen? Und bin ich vielleicht jedes Mal ins Café gegangen, wenn du nach Hause kamst, wie du es jetzt tust?

Ein Zimmerpflänzchen ersetzt in diesem bunten Theater die Tochter. Einen erbärmlichen Spott erzeugt dieses und ähnliche Requisiten, wenn Vater Karl Ove mit anderen Eltern und deren Pflänzchen zu einem Treffen zusammenkommen. Die Inszenierung der Yana Ross ist sehr darauf bedacht, diese Literaturnacherzählung mit variétéhaften Elementen aufzuhübschen. So leitet auch mit Cynthia Micas ein im Programmheft so genanter „Master of Ceremony“ den Abend ein und begleitet als Conferencière auch weiterhin Karl Oves Kampf für innere und äußere Freiheiten. Das Fremdsein in der eigenen Rolle als Mann ist schon zu Beginn des Abends angelegt, wenn von Knausgårds Vater die Rede ist, der vor seinem Tod in völliger Verwahrlosung in einer stinkenden Bude dahin vegetiert hatte. Die Auseinandersetzung mit dem verhassten Vater und dem durch ihn tradierten Männerbild sind die Seele der Aufführung und strahlen in die Reflexionen des Autors in seiner neuen Rolle als Vater.

„Ich sollte mit Wanja zu Hause bleiben. Hätte ich es anders gewollt, hätte ich das Linda klarmachen müssen, bevor sie schwanger wurde. Aber so vorausschauend war ich nicht, also bedeutet dies dass wir beide in die Rolle schlüpfen mussten, die früher einmal die Frauenrolle genannt wurde. An sie war ich gefesselt wie Odysseus an den Mast. So kam es, dass ich modern und verweiblicht mit einem wutschnaubenden Mann aus dem 19. Jahrhundert in meinem Inneren durch die Straßen Stockholms lief.“

Der innere, wutschnaubende Mann kämpft vor allem mit dem Geist des verstorbenen Vaters und einer vergangenen Welt, die als Ansammlung von Gespenstern in seine Gegenwart hinein irrlichtert. Das ist ein permanenter Stress; er ist in der von Paul Herwig verkörperten Vaterfigur während der gesamten Aufführung präsent. Die düstere Vergangenheit, für die er steht, ist in einer Schlüsselszene eingefangen: In der verkommenen Wohnstatt des Vaters entdeckt der Protagonist ein Exemplar von Hitlers „Mein Kampf“.

„Ich musste es gelesen haben, um den Roman zu beenden. Auf jeden Fall musste ich es überflogen haben damit ich wusste, worum es ging. Das Gefühl von Unbehagen war gigantisch ganz zu schweigen von dem fast ekelerregenden Gefühl, das sich einstellte, als ich anfing, Hitlers Worten und Gedanken Zugang zu meinem Bewusstsein zu gewähren und sie eine Weile ein Teil davon werden ließ.“

„Hitlers Kindheit und Jugend ähneln meiner eigenen“ sagt der Autor, spricht von dessen Angst vor dem Vater und dessen Liebe zur Mutter und der Sehnsucht, etwas Großes zu werden. Knausgårds Auseinandersetzung mit Hitlers Propagandaschrift „Mein Kampf“ stehen am Ende seines Romanzyklus „Min Kamp“, den Yana Ross hier in Ausschnitten fürs Theater zusammenfasst. Aber das alles ist eher arrangiert als inszeniert, eher nacherzählt als nacherlebt und zeigt aufs Neue die Grenzen einer Bühne, die epische Literatur eben nur illustriert und nicht fürs Theater erschließt.