Isabelle-Huppert-spielt-Jean-Racines-Berenice-und-Romeo-Castellucci-inszeniert

Isabelle Huppert ist Bérénice
Fallende Blütenblätter
von Eberhard Spreng

Jean Racine, Romeo Castellucci, Isabelle Huppert. Ein Trio der Giganten steht auf dem Spielplan des Théâtre de la Ville in Paris. Romeo Castellucci verschlankt Racines „Bérénice“ und Isabelle Huppert ist fast allein beim Klagegesang der Protagonostin.

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 06.03.2023 → Beitrag hören

Berühmte Besetzung: Isabelle Huppert. Foto: Peter Lindbergh

Auf der völlig leeren, gewaltig große Bühne des Théâtre de la Ville steht Isabelle Huppert in weiter Robe und hält eine chrom-glänzende Stange in den Händen. In getragener Rede zelebriert sie die Verse aus einem der großen Sprachdenkmäler der französischen Klassik, das Jean Racine vor mehr als 350 Jahren als die traurige Liebesgeschichte von Bérénice und dem römischen Kaiser Titus schuf.

„Hé bien ! Titus, que viens-tu faire ?
Bérénice t’attend. Où viens-tu, téméraire ?
Tes adieux sont-ils prêts ? T’es-tu bien consulté ?
Ton coeur te promet-il assez de cruauté ?“

Diese nachdenkliche Selbstbefragung würde in konventionellen Inszenierungen der Kaiser Titus selbst sprechen, der eine wichtige Entscheidung zu treffen hat: Zwischen der großen Liebe zur judäischen Königin Bérénice und der römischen Staatsraison, die eine Ehe mit einer Ausländerin an der Spitze der Republik nicht duldet. Anders als in den vielen großen Liebestragödien ist die Liebe hier nicht schuldbehaftet, sie ist einfach nur politisch illegitim und führt auch nicht in den tragischen Liebestod. Racines „Bérénice“ ist die Geschichte des Verzichts auf die Ehe aus Rücksicht auf der Logik der Macht. Aber nichts davon erzählt diese Inszenierung. Sie ist fast ein Solo für Starschauspielerin Huppert. Ohnehin handlungsarm, macht Castellucci aus dieser „Bérénice“ einen weit ausgreifenden, elegischen Trauergesang für eine Stimme zur Musik des Scott Gibbons.

„J’entends que vous m’offrez un nouveau diadème,
Et ne puis cependant vous entendre vous-même.
Hélas ! Plus de repos, Seigneur, et moins d’éclat.
Votre amour ne peut-il paraître qu’au Sénat ?
Ah Titus ! Car enfin l’amour fuit la contrainte.“

Melismatisch verfremdet kommt Isabelle Hupperts Stimme über die Lautsprecher. Alles was die Zuschauer in diesem frei nach Racine montierten Oratorium zu hören bekommen, ist aufgrund der Hingabe und Konzentration der Starschauspielerin beeindruckend. Was aber sieht man auf dieser von gewaltigen Vorhängen eingefassten Bühne? Nur kurz und beiläufig lässt der Bilderregisseur ahnen, was die Ursache für Berenicens Liebeslamento ist: Das Regelwerk der römischen Politik duldet die einstige Königin von Judäa nicht als Kaiserin. In einem zeremoniellen Ritual trägt eine Gruppe leicht bekleideter Männer ein Gerüst auf ihren Schultern, von dem kopfunter eine Cesaren-Büste herabhängt. Derweil fällt immer wieder ein schwerer Vorhang geräuschvoll zu Boden und wird am Seil wieder hochgezogen. Rätselhaft bleibt diese Verrichtung ebenso wie das Duo von zwei jungen Tänzern, von denen einer von schwarzer und einer von weißer Hautfarbe ist und die das Programmheft als Titus und dessen Nebenbuhler Antiochus ausweist. Cheikh Kébé und Giovanni Manzo spielen dieses stumme Paar mit erstaunlich ähnlichem, hochschlanken Körperbau. Ein geheimes Schicksal bindet die beiden aneinander. Dieses und viele andere Bilder gestaltet der Regisseur im Chiaroscuro, sie werden zu einem von einer Gaze leicht verhüllten Bühnengemälde, sind von betörender Schönheit, aber sie bleiben auch auf eine eher uninteressante Art und Weise rätselhaft. Zu einer ganz ergreifenden Ikone der Trauer hingegen wird später eine in der Bühnenmitte zusammengesunkene Isabelle Huppert in nunmehr weiten roten Gewändern, wenn hinter ihr ein gigantischer Strauß roter Lilien verwelkt und seine metergroßen Blätter verliert. Zudem sinken dunkle Vorhänge bauschig herab wie unheilvolle Gewitterwolken. Aufs neue verblüfft Castellucci mit schierer optischer Verführungskraft und Beherrschung der Bühnentechnik. Es endet mit einer rüden Abfuhr ans Publikum und den wiederholten Worten: „Schaut mich nicht an!“

„Ne me regardez pas ! Ne me regardez pas ! Ne me regardez pas !“

Aus der Sprache wird Geräusch und Rhythmus. Sie wird vollends Material, die Tragödie versinkt in der Komposition technischer, optischer und akustischer Effekte. Das offensichtlich etwas verstörte französische Publikum hat es schwer damit. Mit müdem Applaus bedenkt es eine Leistung, die optisch und akustisch berauscht, dramaturgisch aber enttäuscht.