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Syrienroman am Berliner Ensemble
Selbsterklärendes Theater
von Eberhard Spreng

2018 erschien Olga Grjasnowas Roman „Gott ist nicht schüchtern“. Junge Syrer im arabischen Frühling und im Syrien eines katastrophalen Krieges. Am Berliner Ensemble hat das Laura Linnenbaum inszeniert.

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 05.09.2020 → Beitrag hören

Foto: JR Berliner Ensemble

Zwei Seiten hat das syrische Dasein der jungen Schauspielerin Amal. Über der einen, der privaten Nachtseite leuchtet die rosarote Leuchtschrift حبيبي, Liebling, über der politischen Tagseite thront eine gewaltige Plakatwand, wie man sie im Syrien der 00-er Jahre an fast jeder Straßenkreuzung in Damaskus fand. Alawiten-Patriarch Hafiz al Assad mit Söhnen, unter ihnen natürlich Baschar, der im Jahr 2000 die Herrschaft übernahm. Daniel Roskamp hat quer über die Drehbühne des Berliner Ensembles ein Stahlgerüst gebaut, dessen Seiten diese ambivalente Lebensstruktur bebildern. Nachts trifft sich die Jeunesse Dorée in den Clubs der Stadt, tagsüber demonstriert sie friedlich für ein demokratisches Syrien und gerät in den Fokus der Geheimpolizei.

„Mädchen, eins musst du verstehen. Wirklich verstehen. Wir gehen hier nicht weg, selbst wenn Bashar weggeht, wir bleiben. Für immer. Und wenn es sein muss, werden wir nicht nur euch, sondern das ganze Land verbrennen.“

Oliver Kraushaar spielt in dem kleinen, vierköpfigen Ensemble den Repräsentanten der herrschenden Verhältnisse, mal als General, mal als Amals Vater, einen reichen Bauunternehmer, mit besten Verbindungen zum Regime. Er rettet seine Tochter aus den Fängen der Geheimpolizei. Amal war durch die Affäre mit dem systemkritischen Youssef immer mehr in Kontakt zu Oppositionskreisen gekommen. In kurzen, einzelne Schlüsselerfahrungen klug kolagierenden Kapiteln treibt Olga Grjasnowas Roman die Biographie ihrer Figuren voran: Vom fröhlichen Aufbruch der ersten Demonstrationen im Jahre 2011, zu Krieg und Zerstörung ihres Heimatlandes, bis zur traumatisierenden Flucht nach Europa. Parallel zu Amals Geschichte, wird vom gerade in Paris zum Schönheitschirurgen ausgebildeten Hammoudi erzählt. Der war nur für ein paar Tage nach Syrien gereist, um seinen Pass zu verlängern. Man lässt ihn aber nicht wieder ausreisen. Marc Oliver Schulze spielt diesen Arzt, der mit jedem Telephonat zu seiner jüdischen Verlobten in Paris eine wachsende Entfremdung spürt. In seiner ostsyrischen Heimatstadt, an der Frontlinie zwischen der freien syrischen Armee, später dem IS und den syrischen Truppen Assads erlebt Hammoudi den Krieg als Notarzt. Er spürt, wie er in den Ruinen der Stadt am Euphrat mehr und mehr von der Aussicht auf das schöne Leben des wohlhabenden Pariser Schönheitschirurgen weggesogen wird ins Herz der Finsternis, in den Anblick namenlosen Grauens.

„Ein Großvater und seine zehnjährige Enkelin.
Schwere Verbrennungen und Knochenbrüche.
Ein Mädchen schreit und schlägt um sich. Ununterbrochen schreit sie
„Lebe ich noch? Bin ich noch am Leben?“
Ein kleiner Junge fragt, ob er sterben wird. Ich sage: “Nein”.
Er traut mir nicht, fragt, ob ich etwas tun kann, um es zu verhindern und
ich habe keine Antwort auf seine Frage.
Er sagt, es sei nicht schlimm, wenn wir alle sterben. Er will nur nicht
zurück.“

Foto: JR Berliner Ensemble

Die Plakatwand mit dem Hafiz-Clan war erst mit Teufelsfratzen übermalt, dann weiß übertüncht worden. Jetzt werden die Pappflächen, aus denen sie sich zusammensetzt, mit Händen und Füßen aus ihren Metallrahmen gestoßen: Ein Bild fürs Syrien im Krieg, die einstige Plakatwand sieht jetzt aus wie die Ruine eines Betongebäudes mit weggebombter Fassade. In dieser Emblematik bleibt den Protagonisten nur bühnenoffenes Spiel. Sie werden zu Chronisten, die die Erzählung ihrer Geschichte voranzubringen haben. Auch Armin Wahedi und die Amal der Cynthia Micas müssen in dieser von der Autorin mitgestalteten Literaturadaption narrativ performen. Sie müssen sich quasi im Dienste der voranschreitenden Geschichte vor ihre Figuren stellen und erklären, was diese eben vor den Augen des kleinen Publikums dramatisch nicht erleben. Das endet in einem forcierten Verlautbarungston, programmatischen Selbsterklärungen. Und das ist fatal: Die unerträglichste, humane, politische und militärische Katastrophe vor den Toren Europas lässt einen auf der Bühne völlig kalt. An dem Eindruck eines sehr schematischen theatralen Vorgangs ist aber auch die Romanvorlage nicht ganz unschuldig. In einem weiten Bogen soll ein ganzes Jahrzehnt erzählt werden, in dem sich Biographie und Weltgeschichte tragisch miteinander vermischen. Wobei der Romanbestseller weder der Entwicklung seiner Protagonisten noch der Entwicklung der Weltgeschichte ganz gerecht werden kann. Die Theateradaption verliert hier noch mehr an Detailschärfe und lässt das Figurenrepertoire aufs Allernötigste zusammenschrumpfen. Zu sehen sind davon aber nur die äußeren Hüllen, die menschliche Katastrophe bleibt pure Behauptung.