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Sittenbild der Generation X
What is left to lose?
von Eberhard Spreng

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 12.02.2023 → Beitrag hören

Falk Richter legt mit „Bad Kingdom“ an der Schaubühne in Berlin eine figurenreiche Produktion vor, die den Bogen zwischen individuellem Schmerz und gesellschaftlichen Verwerfungen spannen soll. Mit Jule Böwe und Ursina Lardi stehen zwei Ensemblestars auf der Bühne.

Foto: Gianmarco Bresadola

Ein Film soll entstehen. Er heißt „Die Stunde, da wir nichts voneinander wissen wollten – 71 Fragmente der Einsamkeit“. Der erste Teil dieser Zeilen zitiert ironisch einen Stücktitel von Peter Handke aus dem Jahr 1992. Der Untertitel verweist auf ein eher aktuelles Problem. Nicht nur die Menschen selbst sind völlig isoliert, auch das Reden über sie zerfleddert ins fragmentarische, bruchstückhafte. So steht denn Kay Bartholomäus Schulze zu Beginn der Aufführung allein auf schicker Hochglanzbühne und beklagt seine jämmerliche Existenz.

„Ein Mann Mitte fünfzig sitzt da, allein in seinem Zimmer, es ist Nacht, er lauscht der STILLE. Plötzlich sieht er das Wort EINSAMKEIT Es steht da an eine Wand geschrieben EINSAMKEIT“

Unmerklich treten während dieses Monologes, der wie ein programmatisches Vorwort zu Falk Richters neuer Arbeit fungiert, maskierte Gestalten hinzu und präsentieren sich als Abspaltungen dieses Mitt-Fünfzigers, als Möglichkeiten für eine vielleicht glücklichere Existenz, eine mit mehr Bereitschaft, auf andere einzugehen, eine, die die Ich-Fixierung überwindet. Vergeblich, Richters Menschen können, wie Videoeinblendungen immer wieder zeigen, ihren Partner auch beim Sex nicht in die Augen schauen. Darüber klagt der von Marcel Kohler gespielte Filmregisseur Michael.

„Ich spür dich nicht mehr. Wo bist du? Wenn wir Sex haben und du deine Augen zumachst, hab ich das Gefühl, du gleitest langsam hinüber in diese andere Welt. Eine Welt, in der ich nicht bin. Was LEBST du da? Was LEBST du da OHNE MICH?“

Der Angesprochene versucht seinerseits, seine Einsamkeit in einem Solo-Album auszuschluchzen, kommt aber über die Stückanfänge nicht hinaus. Fragmente allenthalben. Diese nicht sehr komplex ausbuchstabierte Beziehungskrise könnte Material sein für Michaels Filmprojekt, aber seiner sogenannten Skript-Doktorin Brit fehlt Emotion und dramatische Zuspitzung. Jule Böwe spielt diese abgebrühte Medienspezialistin herrlich lakonisch. Aber auch sie zerbricht wenig später in einem der sehr langen Monologe an ihrer Verlorenheit, die in einem Klagegesang gipfelt.

Foto: Gianmarco Bresadola

Jule Böwe ist ein Theaterereignis, aber auch Ursina Lardi überzeugt, die die Pianistin und Komponistin Viola Brahms als nervös verstörte Künstlerin verkörpert, die sich von ihrer persönlichen Assistentin für ein geplantes Interview das Wording vorgeben lässt und sich einprägen muss, was für Themen auf jeden Fall zu vermeiden sind. Triggerwarnung allenthalben. Später spielt die Lardi dann auch eine herrlich fahrige Paartherapeutin. Dann wieder erscheint die TikTokerin Ivy Blue auf der Vorderbühne und klärt das Publikum über den Zusammenhang von Einsamkeit und dem Erstarken rechter Parteien auf.

„Leute wusstet ihr das neueste Befunde zeigen, dass Einsamkeit negative Auswirkungen auf die Demokratie hat. Rechtsextreme bauen vor allem auf Tik Tok und anderen sozialen Medien sehr geschickt Verbindungen zu Menschen auf, die auf der Suche nach einer VERBINDUNG, einer FAMILIE, einer HEIMAT sind –Nur wohin fliehen, wenn der ganze rechte Scheiß hier explodiert? Schreibts mit in die Kommentare… take care…“

Hévîn Tekin spielt die smarte Influencerin inmitten der digital verstörten, medial überlasteten und psychisch angegriffenen Großstadtboheme. Auf der von Katrin Hoffmann gestalteten Show-Bühne steht im Hintergrund eine Burgfassade mit durchbrochener Wand, an den Seiten prangen malvenfarbige Kunstgewächse; lilafarbene Kostüme kontrastieren mit grünlich glänzenden Böden. Wie so oft packt Falk Richter in eine schicke Show-Bühne sein Sittenbild, in dem es beiläufig auch um Krieg geht, um Umweltprobleme, um die Schere von Reich und Arm, ja eigentlich so um alles, was die linke Wohlstandsseele derzeit bedrückt. Aber war da nicht auch Falk Richters anfänglich angedeutetes Versprechen, den Weltverlust als einen Kunstverlust zu erzählen? Das Zerbrechen der Gesellschaft zwischen den Menschen als ein Zerbrechen der Erzähllinien und ästhetischen Zusammenhänge zu zeigen? Falk Richters „Bad Kingdom“ ist immer süffige, musikalisch aufgeladene Unterhaltung, mit ironisch gebrochenen Figuren, gespielt von einem überzeugenden Ensemble. Aber das ist letztlich nur die Illustration für eine Message, die dann in einem simplen Vortrag über die psychotische Gesellschaft der Ariadne von Schirach endet. Dem Menschen kommt der innere Kompass abhanden. „Bad Kingdom“ ist der von Selbstmitleid nicht ganz freie Abgesang auf die in sich zusammenbrechende Welt der Generation X.