Ella-Road-Stück-Die-Laborantin-in-Dresden

Erstaufführung am Staatsschauspiel Dresden
Ratingagentur des Blutes
von Eberhard Spreng

Ella Road erregte in London Aufsehen mit „Die Laborantin“. Eine dystopische Welt, in der das Genom über Lebenschancen entscheidet. Am Dresdener Staatsschauspiel hat der Regisseur und Videokünstler Adrian Figueroa das Stück erstmalig auf eine deutsche Bühne gebracht.

Deutschlandfunk, Kultur heute – 22.05.2021 → Beitrag hören

Foto: Sebastian Hoppe

Ein Klinikflur, weiße Wände, ein weißer Kittel. Und ein Versehen, bei dem der Laborantin Bea lauter Röhrchen mit Bluttests auf den Boden fallen. Die sind sehr kostbar, denn aus ihnen wird bestimmt, welche Krankheiten die jeweiligen Testpersonen zu erwarten haben, welche Lebenserwartung, welche genetische Gesundheit. Aaron ist hinzugekommen und will helfen. Rund um den kleinen Krankenhauszwischenfall entspinnt sich eine Boy meets Girl Situation.

– „Wie ist denn ihr Wert so?
– Das ist aber sehr intim… Er ist gut, klar über dem Durchschnitt. Und ihrer?
– Ähm, ja der ist auch ganz gut.“

Aaron plant eine Anwaltskarriere und die ist nur drin mit einem überzeugenden Wert, einem hohen Rating, das eine hochwertige genetische Ausstattung nachweist. Auch Beas Freundin Char braucht einen solchen Nachweis. Allerdings muss sie ihrem künftigen Arbeitgeber eine Muskelschwäche verheimlichen. Bea tut ihr einen Gefallen und manipuliert den Bluttest. In einer nur milde futuristischen Gesellschaft, die Menschen mit niedrigen Ratings marginalisiert, Elternschaften verwehrt, intensivmedizinische Versorgung versagt, steht Bea an einer bedeutenden Schnittstelle. Sie wittert das Geschäft. Schnell wird aus dem Einzelfall ein systematischer Nebenverdienst, der es ihr bald erlaubt, sich eine schicke große Wohnung in ihrer Traumgegend zu leisten: Für sich und Aaron und vielleicht ein Kind? Aaron zögert, und was Bea nicht weiß, er hat sie über sein genetisches Rating belogen, hat eine alkoholkranke Mutter und einen schizophrenen Vater.

Einigermaßen kleinteilig entwickelt Autorin Ella Road die Liebesgeschichte, mit einer Bea, die nicht genug kriegen kann vom materiellen Aufstieg und einem Aaron, der immer öfter betrunken nach Hause kommt, und einer Freundin Char, die aus dem Karrieredenken ausschert und sich einer Widerstandsbewegung anschließt, gegen das genetische Diktat der neuen Klassengesellschaft.

Mord und Blutdiebstahl

Bildmächtige Videoeinblendungen unterbrechen das Kammerspiel mit Stadtlandschaften, mit Ansichten von Avataren, die mit hohen Ratings auf Partnersuche gehen und mit der Meldung über den Tod des berühmtesten High-Raters des Landes:

„Thomas Obaju, bekannt für sein Rating von 9,84 ist ermordet worden. Seine Leiche wurde früh am heutigen Morgen an einem Kanal in Maida Vale gefunden. Sie wies mehrere Einstiche und Injektionswunden auf. Noch ist unklar, ob dieser Mord ein politisches Statement war oder nur ein weiterer Blutdiebstahl.“

Was Epigenetik für die Gesellschaft bedeutet, fürs Grosse ganze, schildern in der Inszenierung des Regisseurs und Videokünstlers Adrian Figueroa unterhaltende Videosequenzen. Was sie für das einzelne Paar bedeutet, erzählen ziemlich langatmige und weitgehend vorhersehbare Dialogszenen. Mehrere Kameras fangen das ein, für eine mit ungewöhnlich schnellem Schnittrhythmus operierende Bildregie. Dennoch: Der britische Dialogrealismus, seine psychologischen Wendungen in Andeutungen, unvollendeten Sätzen und Verlegenheitspausen ermüden. Eigentlich ist diesem guten alten Theater nur Holger Hübner in einer Nebenrolle gewachsen. Larissa Aimée Breidbach spielt die Freundin Char im Wechsel zwischen latenter und manifester Aggression, die der Figur so nicht ganz gerecht wird. Karina Plachetka gibt die Titelfigur als moderne Macherin, die in Beruf und zuhause alles unter Kontrolle hat, bis auf die Biologie ihres Mannes und ihre Schwangerschaft.

– „2,2. Du bist ein Cocktail aus Dreck.
– Wir haben immer gesagt, dass uns das egal ist.
– Uns ist das egal, aber der Welt nicht, Aaron. Wo lebst Du eigentlich. Dieses Kind könnte ein Sub sein und dann könnte es nichts werden, gar nichts!“

Ella Roads Stück reagiert auf eine Debatte, die unsere Gesellschaften in den nächsten Jahren immer mehr aufrühren wird. Allerdings spürt sie den Sog hin zu einer genetisch kodierten Erfolgsgesellschaft in der kühlen rationalen Logik des wissenschaftlichen Fortschritts auf. Ihre Dystopie entsteht in einer Gesellschaft, die zuvor streng geheime Medizindaten für ein technokratisches Gesellschaftsregime öffentlich macht und damit ökonomisch und politisch verwertbar. Das ist eine Übergangsgesellschaft zum sogenannten Posthumanismus, den vor allem kalifornische Start-Ups und Global Player mit ihren Visionen befeuern. Vom Virus ist kurz auch in Ella Roads Stück die Rede und einmal setzt sich die Protagonistin auch einen Mund- Nasenschutz auf, um sich vor Low-ratern zu schützen. „Ratismus“ nennt Ella Road diese neue Ideologie und die ist natürlich nicht nur im Klang ein Kind des Rassismus. Vielleicht müssen wir das eines Tages den Biofaschismus des 21. Jahrhunderts nennen.