Claudia-Bauer-inszeniert-Vaterland-von-Robert-Harris-in-Dresden

Romanadaption in Dresden
Gespenstische Geschichtsvision
von Eberhard Spreng

Als „frivole Geschmacklosigkeit“ bezeichnete ein deutscher Kritiker Robert Harris „Vaterland“ vor rund zwanzig Jahren. Der 1992 als „Fatherland“ erschienene Bestseller-Thriller betreibt alternative Geschichtsschreibung mit einem Nazi-Deutschland, das den zweiten Weltkrieg gewonnen hat und nun ganz Europa beherrscht. Claudia Bauer inszeniert dies am Staatsschauspiel Dresden.

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 24.02.2023 → Beitrag hören

Foto: Sebastian Hoppe

Ein kleine Gruppe in pastellfarbenen Anzügen stellt sich auf der Vorderbühne auf. Masken mit gleichförmigen Kindergesichtern starren ins Publikum. Und was diese Menschen uns zu verkünden haben, zeugt von den stumpf eingeübten Leitsätzen einer Generation, die seit ihrer Geburt nichts als die Nazizeit erlebt hat.

„Als Amerika Japan besiegte, indem es dort eine Atombombe zündete, hatte der Führer eine V3 losgeschickt, die im Himmel über New York explodierte um zu beweisen, dass er auf die gleiche Weise zurückschlagen könnte“

Ein Europa mit verdrehter imperialer Geometrie führt uns Robert Harris vor: Nicht die Sowjetunion und die USA sind die Supermächte der Nachkriegszeit, sondern ein siegreiches Nazi-Deutschland, das sich bis zum Ural erstreckt und ein nunmehr auf Ausgleich und Handelsbeziehungen bedachtes Amerika.

„Ich weiß es wird einmal ein Wunder geschehen…“

„Vaterland“ ist einunterhaltsamer Politthriller um einen Ermittler der Kripo, der im Jahr 1964 mit der Gestapo in Konflikt gerät, die mit einer Serie ungeklärter Todesfälle eine ganz eigene, natürlich geheime Agenda verfolgt. Robert Harris schickt seinen Protagonisten Xaver März durch Schlägereien, eine Lovestory mit der amerikanischen Journalistin Charlotte Maguire, durch Intrigen, Rätsel, Folter und endlich zur Erkenntnis eines großen Staatsgeheimnisses. Claudia Bauer kleidet diese Action in die Ästhetik amerikanischer Nazi-Musicals: Lange schwarze Ledermäntel mit Schulterpolstern, einen mit Nadja Stübinger transgender besetzten Helden, eine mit Yassin Trabelsi transgender performende Heldin. Mit kalkulierter Geschmacklosigkeit mischt Claudia Bauer Humor und Ironie in die Darstellung eines im Kern unerträglichen Nazitriumphes.

„Die große Halle wird nur für die feierlichsten Zeremonien des Deutschen Reiches verwendet und umfasst einhundertachtzig Tausend Menschen. Der Atem dieser Menschen steigt in die Kuppel auf, bildet dort Wolken und wird? als leichter Regen wieder herabfallen.“

Ein launiger Fremdenführer erklärt eine Reichshauptstadt, in der Albert Speers Planung Wirklichkeit geworden ist: Unter anderem die große Halle, in der Hitlers 75. Geburtstag gefeiert werden soll, aber auch der US-Präsident erwartet wird.

„A double bubble … Die Deutschen haben ihr System, wir haben unseres. Aber wir alle sind Bürger eines Planeten und solange sich beide Nationen darüber einigen, bin ich fest davon überzeugt können wir Frieden haben.“

Foto: Sebastian Hoppe

Auf einer Videowand grimassieren Gesichter. Zu sehen sind auch Bilder aus dem Inneren einer großen Blackbox, die im Zentrum der Bühne aufgebaut ist. Die Beweissuche in Wohnungen ist so vom Geschehen in der Öffentlichkeit abgesetzt. Erst am Ende ihrer Ermittlungen erkennen die Amerikanerin Charlotte Maguire und der Deutsche Xaver März, dass ihre Widersacher von der Gestapo hohe Nazi-Beamte verschwinden lassen, die 1942 an der Wannseekonferenz zur so genannten „Endlösung der Judenfrage“ teilgenommen hatten. So soll sichergestellt werden, dass im Dienste der Annäherung an die USA die Vernichtung von 11 Millionen Juden weiterhin geheim gehalten werden kann. Nun wird aus Claudia Bauers Nazi-Comedy plötzlich expressives Theater mit rollenden Augen, lautem Gebrüll und einer unnötig blutigen Folterszene.

Ein Deutschland von 1964, das den Holocaust immer noch leugnet, ist eine monströse Vorstellung, die auf der Bühne eigentlich einer viel unheimlicheren Atmosphäre bedürfte. Auch und gerade heute bleibt ja eine Frage zentral: Wie organisieren totalitäre Systeme die Routinen von Verdrängung und Realitätsverlust? Die Inszenierung streift diese Frage nur beiläufig, folgt dem Roman treu durch seine verworrene Crime-Story und findet dazu letztlich keine ästhetische Haltung. So bleibt auch das historische Spannungsfeld zwischen dem Schreckensbild einer unbeendeten Naziherrschaft und einem Europa von 2023, das sich russischen Imperial-Phantasien gegenüber sieht, erstaunlich energielos. Komisch: Was ein Stück der Stunde sein müsste kommt einem wie Schnee von gestern vor. So bleiben nur ein kraftvolles, gelegentlich kraftmeierndes Ensemble und ein paar wirkungsvolle Bilder.