Warum-Frankreich?-Der-Messeranschlag-von-Nizza

Anschlag in Nizza
Warum Frankreich?
von Eberhard Spreng

Nach den Anschlägen von Conflans-Sainte-Honorine und Nizza streitet Frankreich über die Rolle der Intellektuellen und über die gesellschaftlichen Voraussetzungen für den anhaltenden Terror der Islamisten.

Bayrischer Rundfunk, Kulturwelt – 29.10.2020 → Beitrag hören

Schauplatz der Gräueltat: Die Basilique Notre Dame in Nizza (Foto: LimeWave-Photo/wikicommons)

Französische Sicherheitsbehörden kamen am Anfang des Jahres in einer internen Studie zu einer etwas unheimlichen Feststellung. 150 französische Stadtviertel werden von Islamisten kontrolliert. Und die haben die Entwicklung einer Parallelgesellschaft beschleunigt, in der Kinder nicht mehr in die staatlichen Schulen gehen, nicht also in die „Schule der Republik“, von der Emmanuel Macron in seiner Brandrede nach dem Mord an dem Lehrer Samuel Paty sprach. Der Soziologe Bernard Rougier kennt einige von diesen Vierteln nach einer Langzeitstudie sehr genau, und damit auch das in diesen Vierteln propagierten Selbstbild des zeitgenössischen jungen Islamisten.

„Diese Täter sehen sich als Teil der großen islamischen Erzählung. Die Mörder bei Charlie Hebdo vergleichen sich mit Weggefährten des Propheten. Der junge Islamist sieht sich in dieser Tradition. Kaum joggt er um irgendeinen See, ist er schon im Training für militärische Aktionen der Zukunft, ist schon ein Verteidiger der Umma, der Gemeinschaft der Gläubigen. Es findet also eine Gleichbehandlung statt zwischen dem Arabien des 7. und dem Frankreich des 21. Jahrhunderts. Und diese Gleichsetzung soll die Gewalttaten rechtfertigen.“

„Es ist Frankreich, das hier angegriffen wird“, sagte Emmanuel Macron gestern auf den Stufen der Basilika Notre Dame in Nizza, dem Tatort für eine weitere islamistische Gräueltat. Seine Regierung versucht sich in einer neuen Politik gegenüber den Muslimen seines Landes.

Der „Islamo-Gauchisme“ am Pranger

Sein Bildungsminister Jean-Michel Blanquer wettert derweil gegen einen Teil der politischen Linken. Ihnen wird vorgeworfen, in der muslimischen Bevölkerung eine zu schützende Minderheit von gesellschaftlich Marginalisierten und Unterdrückten zu sehen.

„Unser Gesellschaft war etwas zu durchlässig für Denkrichtungen wie den Islamo-Gauchisme. Der richtet an den Universitäten Schaden an, oder in Parteien wie La France Insoumise. Die hängen einer Ideologie an, die irgendwann mal die schlimmsten Auswirkungen haben kann. Auch der Mord an Samuel Paty wurde vorbereitet von solchen intellektuellen Mittätern.“

Der Islamo-Gauchismus meint eine vermutete intellektuelle Komplizenschaft linker Kreise mit dem radikalen Islam, und eine Geisteshaltung, die auf rechtsradikale Gewalttaten klare Reaktionen zeigt, zu islamistischen jedoch betreten schweigt. Der deutsche Spiegelkolumnist Sasha Lobo nannte dies jüngst in Bezug auf den islamistischen Mord in Dresden „Verniedlichungsrassismus“. Auch der französische Intellektuelle Pascal Bruckner, dessen 2017 veröffentlichte Studie „Der eingebildete Rassismus“ nun auch in deutsch vorliegt, spricht von Doppelmoral.

„Wir können das Christentum kritisieren, können uns über das Judentum lustig machen, den Dalai Lama oder den Papst. Aber beim Islam und seinen Vertretern kriegt man sofort den Rassismusvorwurf zu hören. Ich finde diese Doppelmoral unerträglich. Einschüchterung und intellektuelle Erpressung mit dem Rassismusvorwurf Muslimen gegenüber erklärt letztlich die Morde an den Leuten von Charlie Hebdo und all die anderen Morde danach.“

Kampf von Universalismus und Kommunitarismus

Dass Frankreich so massiv mit seinem Islamismus zu kämpfen hat, liegt nicht nur an seiner Kolonialgeschichte und den muslimischen Migrationen der letzten Jahrzehnte. Sein entschiedener Laizismus und sein Universalismus sind ein natürlicher Feind aller Kommunitarismen. Die Umma islamiya treibt von ihnen am radikalsten die territoriale Selbstverwaltung voran. Die damit einhergehende Kulturschlacht ist nur im Kampf um die Herzen der junge Muslime zu gewinnen, meint der Soziologe Bernard Rougier abschließend.

„Wir können die kommunistische Partei nicht ins Leben zurückholen, nicht die Arbeitervereine oder Gewerkschaften, die einmal für migrantische Bevölkerungsteile die Integration in den sozialen, politischen und ideologischen Kontext Frankreichs und Europas erleichterten. Aber es gibt Alternativen. Tanz- und Musikclubs, Filmclubs helfen bei der intellektuellen und emotionalen Bildung und konkurrieren mit der Islampredigt. Und wenn junge Menschen aus der Banlieue sich dann für klassische Musik, für Literatur, für den Film, für Kultur begeistern, dann bedeutet das eine Niederlage für den Islamismus.“