Stages-Unboxed-beim-Theatertreffen-2021

„Stages Unboxed“ beim Theatertreffen 2021
Es gewinnt, wer verliert
von Eberhard Spreng

„Stages Unboxed“ zeigt Web-Theater beim Berliner Theatertreffen. Vier sehr unterscheidliche Arbeiten sind in diesem Jahr in der Zusammenarbeit mit der „Akademie für Theater und Digitalität“ und der „Digitalen Dramaturgie“ ins Programm aufgenommen worden.

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 21.05.2021  → Beitrag hören

Arne Vogelgesang performt „Es is zu spät“ (Foto: Loris Rizzo)

Drei junge Damen buhlen um die Gunst des Publikums. Sie sollen mit ihrer Stage-Performance, ihrer Bühnenpräsenz und ihren Ideen beim Publikum punkten und Medaillen gewinnen. Dabei sind sie natürlich wie der Titel der Performance verspricht: „Under Pressure“.

„Die Zuschauer*innen, die haben sich hier extra eingeloggt, und die wollen jetzt auch was sehen. Weil ihr hier steht, stehen andere Leute hier nicht, vielleicht Leute, die mehr zu sagen gehabt hätten als ihr, Leute die es mehr verdient hätten …“

Es ist die Parodie einer klassischen Fernsehshow. Das Publikum an den Computerbildschirmen daheim wird in regelmäßigen Abständen auffordert, per Klick zu entscheiden, wer die Gewinnerin der jeweiligen Runde ist. Und das Publikum ist in dieser auf Auslese bedachten Show tatsächlich so nett, ganz klischeekonform die renitente, potentielle Systemsprengerin Laura aus dem Rennen zu werfen. Aber auch die spätere Gewinnerin Sophia muss sich Ermahnungen anhören:

„Dann haben die dich nämlich bald durchschaut und dann schmeißen die dich raus, du kleine miese Hochstaplerin“

Leider entwickelt sich die Dramaturgie der Showperformance nicht. Und am Ende, wenn erwartungsgemäß die Gemütliche, Unperfekte, Authentizität am besten performende gewonnen hat, drückt man dem Publikum statt einer utopischen Versöhnung ein dramatisches Katastrophenfinish aufs Auge. Es gewinnt, wer verliert, schon ausgeschieden war und so der Katastrophe entkommt.
Keine Ahnung, wie viel CO2 diese digitale Publikumsbeteiligung in die Atmosphäre geblasen hat. Wenn schon das Versenden einer e-mail soviel Schaden anrichtet wie das Aufbrühen einer Tasse Tee, wird es bei den ca. 250 zuschauenden Menschen messbar gewesen sein. Da denkt man an den sogenannten Lichttest der 1970er Jahre. In der Fernsehshow „Wünsch dir was“ wurden Gewinner ermittelt, indem man das Fernsehpublikum aufforderte, schnell mal ganz viel Licht zu machen, um im E-Werk den Verbrauchsanstieg zu ermitteln.

Für Arne Vogelgesang ist alles zu spät

In Klimafragen ist der Homo Ludens unverbesserlich. Den Videokünstler Arne Vogelgesang treibt das in seiner Lectureperformance „Es ist zu spät“ zu einer wütenden Klimarede, die in Theaterbashing endet.

„Wie ist denn die Lage? Die Medienwelt hat uns alle in Zuschauende verwandelt. Die ganze Welt ist unsere Bühne und ihr Kollaps ist ein Genuss. Theater hat Anteil daran, diesen Zusammenbruch konsumierbar zu machen und das ist falsch.“

Arne Vogelgesang reenacted in seinem Solo einen Auftritt vor wenigen Jahren in einem Berliner Off-Theater. Vogelgesang zeigt die Sinnlosigkeit der Appelle als ein Problem ihrer Form, ihrer medialen Eitelkeit. Wir sehen die theatrale Version des klassischen Youtube-Influencers, der sich vor seiner Kamera aufbaut und Überzeugungen performt. Vogelgesang zeigt beides: Engagement der Gedanken und ihre Vernichtung qua Medialität. Für ihn ist dieses Reden über die Klimakatastrophe Teil des Problems.

Digitaler Lunapark (Abb. Das House minus.eins)

Ganz auf die Präsenz menschlicher Performer auf dem digitalen Bildschirm verzichtet ein ans Dortmunder Theater angedocktes Projekt „Das House 0.1“. Hier wandern von der Zuschauerin oder dem Zuschauer über die Tastatur gesteuerten Avatare durch einen virtuellen Lunapark voller skurriler architektonischer Modelle und Klanglandschaften.

„Damit wir uns auch und alles verstehen tun, die Vögel fein auch in schönen Augenblicken…“

Hypnotisch ist das vor allem aufgrund der Klangwelt. Die Wirkung entfaltet sich so auch für Menschen, die keine VR-Brille aufgesetzt haben. Vor allem die Gewerke Bühnenbild, Schauspiel und Kostüm waren an diesem virtuellen Theater kreativ beteiligt. Aber das kann nichts an der Tatsache ändern, dass der Oberspielleiter hier letztlich ein Codierer ist, der mit Algorithmen ringt.

Als Menschen treten wiederum die fünf aus Venezuela stammenden Frauen auf, die an verschiedenen Orten in Europa und Südamerika im Exil leben. In Zoom-Konferenzen haben sie ihr dokumentartheatrales „Las Travesías“ entwickelt: Geschichten der Migration auf dem flächigen Splitscreen der Videokonferenz. Virtualität erlaubt ein Geflecht des Erfahrungsaustausches über Lebenslinien, schafft Verbindungen die sonst nicht möglich wären wäre. „Stages Unboxed“ zeigt völlig unterschiedliche Ansätze digitalen Theaters, überzeugende Experimente und Misslungenes. Klar ist nur All das wird uns auch nach der Pandemie begleiten.