Performing-Exiles-Festival-eroeffnet-mit-Rabih-Mroue-und-Amir-Reza-Koohestani

Festival im Haus der Berliner Festspiele
Zuhause im Exil
von Eberhard Spreng

Berlin als Ort für Künstlerinnen und Künstler im Exil. Dieser Aspekt interessierte Matthias Lilienthal bei der Vorbereitung des Festivals „Performing Exiles“. Mit „Hartaqāt“, des deutsch-libanesischen Künstler Rabih Mroué und „Blind Runner“ des Iraner Amir Reza Koohestani begann es, neben einem Konzert von Zhadan i Sobaki aus Charkiw und der Rekonstruktion einer Exil-Kneipe aus der Berliner Vergangenheit.

Foto: Camille Blake

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 16.06.2023 → Beitrag hören

Großmutter Izdihar sei Analphabetin gewesen. Die arabische Sprache weise ihr als Mutter den Ausdruck „Um“ zu, aus der etymologisch eng verwandten „Umma“, der von Männern beherrschten Gemeinschaft der arabisch sprechenden Menschen sei sie aber ausgeschlossen gewesen. Exil in der eigenen Kultur. Davon erzählt der erste Text in „Hartaqāt“, der ersten Aufführung des Festival Performing Exiles.

Raed Yassin, ein Mann, performt den sehr persönlichen Bericht der libanesischen Übersetzerin Rana Issa. In ihm durchkreuzen sich private Dramen und die Krisen des Nahen Ostens. Erzählungen vom Exil in Norwegen mit Erinnerungen aus der familiären Vergangenheit. Mit nichts weiter ausgestattet als einem Kontrabass, den er als Quelle für diverse Schnarr- und Schabegeräusche benutzt, entführt der Performer sein Publikum in Gedankenbilder eines Diskurses über Biografie, Symbolik und kollektive Geshichte und kleidet selbst die bittersten Erinnerungen in eine versöhnlich klingende Erzählung. Die Sprache, das Arabische zumal, kann auch eine Maske sein, hinter der sich der Erzähler versteckt. Das geschieht im zweiten Text des queeren Souhaib Ayoub. Er hält sich ein breites Brett vor den Körper und einmal auch von den Kopf. Und auf diesem Brett erscheint die englische Übersetzung seinen Textes. Und der ist wie auch der letzte Texte dieses Dreiteilers so voller sprachlich reich ausgestalteter metaphorischer und assoziativer Bezüge, dass das Berliner Publikum eine deutsche Übertitelung gut hätte brauchen können. Performing Exiles versammelt in seinem Theaterprogramm eben auch teilweise das, was im internationalen Festivalgeschäft gerade so im Umlauf ist. Und so entsteht zumindest am Eröffnungsabend gelegentlich eine „Lost in Translation“ – Stimmung voller Fragezeichen.

Foto: Camille Blake

Amir Reza Koohestanis „Blind Runner“ ist ein allegorisches Märchen mit einem reichem kulturellen Resonanzraum. Da sind ein Mann und eine Frau beim Lauftraining. Auf leerer schwarzer Bühne zeichnen zwei leuchtende Pfade ihre getrennten Parcours vor. Wir sollen sie uns durch eine Gefängnismauer getrennt vorstellen, denn kurz bevor die beiden aus dem Iran ins Exil flüchten konnten, wurde sie inhaftiert. Ein dichter Dialog der beiden offenbart die Dynamik einer Paarbeziehung in einer Gesellschaft unter politischer Überwachung. Und wie schon in seinen bildstarken vorherigen Arbeiten bringt Amir Reza Koohestani auch hier wieder die physischen Körper und ihre Abbilder auf der großen Leinwand in komplexe Beziehungen. Die beiden Körper sind auf der physischen Ebene getrennt, die Abbilder der Kameras zeigen die beiden als Paar nah beieinander. Wir erleben eine zauberhaft einfach gebaute Dialektik von Körperlichkeit und Virtualität und damit einen Triumph der Kunst über eine Gesellschaft im Gefängnismodus.

Im großen Saal der Berliner Festspiele hat sich die ukrainische Exil-Community für eine Konzert von Zhadan i Sobaki versammelt. Das ist ein Mix aus Punk, Ska und Volkswaisen mit der Lyrik des Frontmanns Serhij Zhadan, der im vergangenen Jahr den Friedenspreis des deutschen Buchhandels erhielt. Seine Texte sind bekannt, das Publikum singt engagiert mit. Hier schweißt ein absurder Krieg eine Gemeinschaft zusammen, setzt sich der Euro-Maidan, zu dessen Protagonisten Zhadan gehört, in die Berliner Gegenwart fort.

Ein historisches Exilbiotop hat der senegalesische Musiker und Multimedialartist Alibeta im Kassenfoyer des Hauses der Berliner Festspiele installiert. Es soll an die Berliner „Pinguin Bar“ erinnern, die 1949 eröffnete, Jazz-Konzerte veranstaltete, Zuflucht für die schwarzafrikanische Diaspora in Berlin war.

“We have some cocktails, some african blues wine, some resilience power, we have thousands and thousands of stories to tell.”

Die schillernde Folklore, die kostüm- und farbenreichen Rituale, die Atmosphäre des Raum erinnern an die multi-kulti berauschten Anfänge des Hauses der Kulturen der Welt vor ca. dreißig Jahren, bevor Diskurs-Programme die Wohlfühldidaktik im nord-südlichen Kulturdialog ablösten. Hier ist eine Renaissance zu erleben, mit einem unklaren Gefühl: Was an diesem Reenactment ist Ironie, was nicht? Der erste Abend der „Performing Exiles“ hat gleich ein Bündel an Fragen aufgeworfen; vielleicht bringen die kommenden zehn Tage einige Antworten.