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Gendern auf Französisch
„Françaises, Français!“
von Eberhard Spreng

Zum Jahresbeginn sorgte ein Vorstoß des sozialistischen Bürgermeisters Bertrand Kern in den Medien Frankreichs für Aufregung. Der hatte in seinem Neujahrsgruß angekündigt, der von ihm regierte Pariser Vorort Pantin werde für ein Jahr in die weibliche Form „Pantine“ umbenannt, um dem Kampf der Frauen für mehr Sichtbarkeit in der französischen Gesellschaft Nachdruck zu verleihen. Gendern ist gerade in der französischen Sprache ein besonders komplexes Vorhaben, aber dafür gibt es auch historische Vorbilder.

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 01.02.2023 → Beitrag hören

Bürgermeister Bertrand Kern liegt mit seiner Pantin, Pantine – Idee im Trend einer seit Jahren erbittert geführten Mediendebatte. Die Sprache soll weiblicher werden. Und sie soll wenigstens wieder so weiblich werden, wie sie in ihrer Geschichte einmal war. Eine der Vorkämpferinnen dieser Sprachrenaissance ist die Linguistin Julie Neveux von der Sorbonne.

„Im 17ten Jahrhundert wurde eine Maskulinisierung der französischen Sprache betrieben. Die Gründung der Académie Française 1635 spielt dabei eine wichtige Rolle. Und Philologen wie Claude Vaugelat, der in seinen „Anmerkungen zur französischen Sprache“ festlegte, dass das Maskulinum das noble Genus ist und daher Priorität vor dem Femininum haben soll.“

Es geht um eine typisch französische Grammatikregel: „Le masculin l’emporte sur le féminin“ – Das Markulinum beherrscht das Femininum. Die Regel betrifft die Deklination eines Adjektivs, das in romanischen Sprachen dem Genus des vorangestellten Nomens zu folgen hat. Sagen wir im Deutschen ganz cool: „Die Frau ist glücklich, der Mann ist glücklich“, geht das im Französischen in Bezug auf das Adjektiv „glücklich“ nicht. Es verändert sich zwischen den Geschlechtern. Die über den richtigen Sprachgebrauch wachende Académie Française dekretierte dereinst: Die männliche Form muss Verwendung finden, auch wenn sie in einer Abfolge ansonsten femininer Worte nur einmal vorkomme. Wie in Frankreich laufen Feministinnen und Feministen auch im Quebec und in Belgien gegen solchen Sprachsexismus Sturm. Sabine Panet, Chefredakteurin der belgischen Zeitschrift Axelle erklärt, was er für das Selbstbild von Grundschulkindern bedeutet.

„Die kleinen Mädchen, die in der Schule beim Deklinieren lernen, dass das Maskulinum Vorrang vor dem Femininum hat, verstehen sehr wohl, was damit gemeint ist. Und die Jungen in der Klasse wissen das auch ganz genau.“

Es gibt mittlerweile eine breite Front für die Aussetzung der im 17. Jahrhundert etablierten Regel. An ihre Stelle möchte auch die Historikerin Eliane Viennot den älteren, weitgehend intuitiven „accord de proximité“ setzen.

„Man dekliniert nach dem vorangegangenen Nomen, in der geschriebenen und der gesprochenen Sprache. Wir nennen das den „accord de proximité“: Genus und Numerus folgen einfach dem gerade vorangegangenen Nomen. Oder man entscheidet sich, dass ein Begriff in einer Aufzählung ein besonderes Gewicht hat und dekliniert entsprechend.“

Die vielleicht mächtigsten Argumente für die Rückkehr zum älteren Sprachgebrauch kommen von längst verstorbenen Poeten. Der Klassiker Jean Racine zum Beispiel schrieb traumschöne Verse nach dem nun wider eingeforderten „accord de proximité“.

„Françaises, Français ! – Aidez-moi !“

Als Charles de Gaulle seine Bevölkerung 1961 gendergerecht im weiblichem und im männliche Plural ansprach, war das französische Frauenwahlrecht erst 17 Jahre alt. Er ahnte, dass es politisch Sinn macht, Frauen nicht einfach dem generischen Maskulinum zu subsumieren. Er wusste: Die Sprache ist Spiegel gesellschaftlicher Veränderungen, wie der Linguist Bernard Cerquiglini betont.

„Was Historiker seit langem sehen und mit sprachgeschichtlichen Dokumenten gut belegen können, müssen wir mit einem Foucaultschen Begriff einfach „die große Einsperrung“ der Frau in der bürgerlichen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts nennen. Die Sprache beweist das. Bei Laclos ist eine Präsidentin einfach nur die Ehefrau eines Präsidenten. Quasi ein „Ehe-Femininum“ wird installiert.

Eine weitere Großbaustelle also der feministischen Sprachreform: Weibliche Berufs- und Ämterbezeichnungen. Auch hier zeigt der Blick in die Geschichte: Was den konservativen Sprachwissenschaftlern als „Neologismus“ vorkommt, war früher einmal Teil des französischen Vokabulars, wie Eliane Viennot betont.

„Professeuse ist ein Wort, das Voltaire benutzte. Man sagte Autrice, Écrivaine zumindest seit dem 13. Jahrhundert. Man sagte Ambassadrice.“

Da das Deutsche dem Maskulimum in der Regel einfach nur ein „in“ anhängt, um eine weibliche Berufsausübung zu markieren, ist Gendern in Deutschland ungleich schematischer und einfacher. In Frankreich werden alle Nomen und Adjektive mit je nach Wortstamm ganz unterschiedlich klingenden Endungen nach Genus und Numerus dekliniert. Das Französische ist daher auch viel mehr Spiegel der Gesellschaftsgeschichte des Genderns. Heute entsteht daraus allerdings ein Buchstabensalat voller so genannter Median-punkte. Er zerhäckselt in Frankreich einzelne Worte gleich mehrfach. Aus „Liebe Leser:innen“ wird „Cher·e·s lecteur·rice·s“. So etwas ist mittlerweile überall zu lesen. Die so genannte „écriture inclusive“ betrifft die Schriftsprache. Nur ganz Verwegene behaupten derzeit, diese Inklusionsschreibweise fände eines Tages Eingang in die gesprochene Sprache. Über all dem wacht der „Haut Conseil à l’égalité entre les femmes et les hommes“. Der Egalitätsrat gibt Empfehlungen heraus. Und feierte gerade schon seinen 10-ten Geburtstag.