Ein Gespraech-mit-Jack-Lang-nach-den-Pogromen des 7. Oktober 2023

Gespräch mit Jack Lang
Institut du Monde Arabe nach dem 7. Oktober
von Eberhard Spreng

Vor zehn Jahren wurde Jack Lang, der legendäre Kulturminister der Ära François Mitterrand, Präsident des Institut du Monde Arabe. Das „IMA“ zeigt derzeit noch die im Mai eröffnete Ausstellung „Ce que la Palestine apporte au Monde“. Ein Gespräch mit dem 84-Jährigen über Kulturarbeit nach den Anschlägen der Hamas in Israel.

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 11.11.2023 → Beitrag Hören

Foto: Jack Lang vor dem Institut du Monde Arabe (IMA)

Seit dem 7. Oktober scheint im Verhältnis Europas zum Nahen Osten nichts mehr wie vorher. Und das beeinflusst auch die Arbeit eines legendären französischen Kulturhauses, das in einer Zeit gegründet wurde, als das Verständnis anderer Kulturen besonders groß geschrieben wurde. Aber was bedeutet der jetzige blutige Zeitenwechsel für seinen Präsidenten, Jack Lang?

„Ich fühlte mich wie in einem Alptraum. Am 7. Oktober. War das überhaupt zu glauben? Ich hatte Zweifel in Bezug auf meinen Geisteszustand: Die Hamas auf israelischem Gebiet; dann diese blinden, ja grausamen und hemmungslosen Massaker. Das Wort Pogrom trifft es: eine hasserfüllte Gewalt.“

Seit dem Mai zeigte das Institut du Monde Arabe schon die Ausstellung „Ce que la Palestine apporte au Monde“, „Was Palästina der Welt geben kann“. Zu dieser Kunstausstellung fand vor dem 07. Oktober ein umfassendes Rahmenprogramm statt, zu dem zahlreiche Expertenpanels gehörten.

„In den Wochen nach diesem Massaker haben wir entschieden, vorläufig alle Kolloquien auszusetzen. Wir waren zu sehr von Schrecken ergriffen und wollten jeden Anlass für irrationale Konfrontationen vermeiden. Jetzt sind wir in einer neuen Phase und haben entschieden, diese Podiumsdebatten wieder aufzunehmen: Zum Beispiel eine mit dem Titel: ‚Die Rückkehr der palästinensischen Frage’.“

Die große Palästina-Ausstellung zeigt den Bestand für ein geplantes palästinensisches Museums der Moderne. Kunst also im Pariser Exil. Sein wohl eindrücklichstes Bild zeigt eine Vision: In einer Wolkenlandschaft schwebt ein fiktives Bauwerk voller transparenter Ebenen, das durch eine Treppe erschlossen wird. Das „Atelier der Wolken“, eine Art Wolkekuckucksheim, ist Fluchtort für palästinensische Zukunftsträume.

„Es gab schon seit vielen Jahren und nicht nur in Frankreich die Tendenz, die Palästinenser zu vergessen. So als wären sie endgültig von der Karte der Geschichte ausradiert. Warum ich diese Ausstellung über Palästina hier im Hause realisieren wollte, war genau das: Zu zeigen, dass dieses Volk nicht verschwunden ist, eine lange Geschichte hat, Kultur und Kreativität. Diese Ausstellung ist also nicht politisch, sondern kulturell.“

Es hat etwas unwirkliches, in der gegenwärtigen Situation friedlich durch die Räume der Ausstellung zu streifen, so als könne das Tagesgeschehen der Kunst letztlich nichts anhaben. Frankreich beweist trotzt des Sturmes in der Medienlandschaft ein großes Beharrungsvermögen für zuvor entwickelte Sichtweisen auf den Nah-Ost-Konflikt. Auch die immer wieder von der rechten Presse diagnostizierte Polarisierung der französischen Gesellschaft bleibt zunächst eine Behauptung.

„Was mich einerseits freut, ist die Tatsache, dass ein großer Teil dieses Landes gegen jede Form von Rassismus eingestellt ist. Egal was Medien oder Politik erzählen. Andererseits haben wir zahlreiche antisemitische Straftaten zu gewärtigen. Aber woher der französische Antisemitismus kommt und wie tief er tatsächlich geht, dazu fehlen verlässliche Studien. Wenn wir aber eine solche Welle von Gewalt erleben, der Hamas einerseits, der israelischen Armee andererseits, dann schleicht sich das ins Unterbewusstsein, als Verunsicherung, Angst, Revolte und Ablehnung der Anderen. Aber ändert das etwas an der politischen Landkarte Frankreichs? Ich glaube nicht, aber sicher bin ich mir auch nicht.“

Die Frage, ob der rechtsnationale Rassemblement National trotz seiner eindeutig antisemitischen Vorgeschichte an der großen Demonstration gegen Antisemitismus am Sonntag mitmarschieren darf, beschäftigt die Medien seit Tagen. Das ist nur ein Aspekt einer konfus geführten Debatte um die Fragen falscher und richtiger Solidarität.

„Vielleicht kann die Gewalt, mit der Netanjahu und seine rechtextreme Bande in Gaza vorgehen – ihre Ausschreitungen dort – tatsächlich judenfeindliche Reaktionen auslösen. Aber es gibt ja immer schon diese Konfusion von Judaismus und Zionismus und die gegenwärtige Lage ist vor allem von Verwirrung gezeichnet, hier und anderswo auf der Welt.“

Von seinem Büro im achten Stockwerk hat der 84-jährige Jack Lang einen schönen Blick über die Seine und auf die Reparaturarbeiten von Notre Dame. Aber der Himmel darüber ist verdüstert von dunklen Wolken.