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Arme Kultur
Endlich im Fokus der Politik: Das Kultur-Prekariat
von Eberhard Spreng

Corona hat die freien Kulturschaffenden hart getroffen. Jetzt muss die Politik nachsteuern. Hamburgs Kultursenator Dr. Carsten Brosda und andere plädieren für ein Modell, in dem die Künstlersozialkasse eine entscheidende Rolle spielen könnte.

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 09.01.2022 → Beitrag hören

Foto: Eberhard Spreng

Die Kulturkrise in Coronazeiten hat gezeigt: Grundlegend neue Regelungen sind vonnöten. Der Hamburger Kultursenator Carsten Brosda ist einer der Vorreiter für die sozialen Belange der Kultur.

„Die Kulturpolitik steht vor der Aufgabe, sich um die soziale Absicherung von Künstlerinnen und Künstler besonders zu kümmern. Und gerade die Bundeskulturpolitik, weil natürlich der Bund zuständig ist für Arbeitsmarkt und Sozialpolitik. Im Koalitionsvertrag der Ampel finden sich eine ganze Reihe von Vorschlägen, wie das gelingen kann: Das ist der erleichterte Zugang zur freiwilligen Arbeitslosenversicherung, das ist die Sonderregelung für unständig Beschäftigte in der Arbeitslosenversicherung und das sind auch steuerfinanzierte Wirtschaftshilfen für Selbstständige die unter nicht selbst verantworteten Erwerbsausfällen zu leiden haben.“

Carsten Brosda war als von vielen favorisierter Nachfolger der Kulturstaatsministerin Monika Grütters für das oberste Kulturamt der Republik im Gespräch. Schon 2020 hatte der in seiner Kulturszene beliebte Hamburger angesichts der Verdienstausfälle in der Kulturbranche die Schaffung einer von ihm so genannten „Arbeitsversicherung“ für solo-selbstständige Kulturschaffenden angeregt. Aber, warum muss sich Kulturpolitik überhaupt sozialpolitisch engagieren?

Das Problem sind die schmalen Honorare

Die Geschäftsführerin der Allianz deutscher Designer, Victoria Ringleb, sieht den Grund dafür in den vergleichsweise schlechten Vergütungen der Branche.

„Prekäre Beschäftigungsverhältnisse, die wir gerade im kreativen Bereich haben – da müssen wir uns nichts vormachen – sind nicht in erster Linie eine Frage der Sozialversicherungen, sondern sie sind eine Frage der angemessenen Vergütung. Stimmt die Vergütung, haben wir auch nicht so viele prekäre Beschäftigungsverhältnisse und dann müsste auch die Kulturpolitik nicht so aktiv werden.“

Die Politik erkennt in wachsendem Maße ihre Verantwortung für die strukturellen Bedingungen, unter denen Kultur entsteht: Selbstausbeutung und Verelendung vor allem der freien Kulturszene. „Das darf uns so nie wieder passieren, dass man quasi aus der Hüfte geschossen Unterstützungsprogramme entwickeln muss“, sagte die NRW Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen im Rückblick auf das Krisenjahr 2020.

„Wenn sie sich die Durchschnittgehälter, die wir ja erfahren durch die Künstlersozialkasse, anschauen, dann sind wir wirklich weit davon entfernt, dass man von 14.000 bis 20.000 Euro Jahresgehalt Vorsorge treffen kann.“

Das sagte Pfeiffen-Poensgen vor kurzem im Deutschlandfunk Kultur. Die Pfade zur Lösung der Probleme sind verschlungen, denn die neue Vorsitzende der Kulturministerkonferenz – sie existiert seit wenigen Jahren in Ergänzung der Kultusministerkonferenz – mag sich als Landespolitikerin des Themas annehmen. Aber zuständig fürs Soziale auch der Kulturschaffenden ist nun einmal der Bund. Für Carsten Brosdas Vorschlag einer „Arbeitsversicherung“ spielt auch die Künstlersozialkasse wichtige eine Rolle. In deren 24-köpfigem Beirat sitzt Thomas Frickel, neben vielen anderen Vertreterinnen und Vertretern künstlerischer und publizistischer Verbände.

„Die KSK, die übrigens jetzt gerade ihre EDV auf den neuesten Stand bringt, hat ja wahnsinnig viele Adressen von Künstlerinnen und Künstlern – so rund 190.000 Versicherte dort – so dass sie dadurch geradezu prädestiniert wäre, ein solches System, wenn es denn eingeführt wird, auch abzuwickeln.“

Auch die Designer-Allianz-Vorsitzende Victoria Ringleb ist Mitglied im Beirat der Künstlersozialkasse, und derzeit auch dessen Vorsitzende. Auch sie erwartet eine zentrale Rolle der KSK beim Auffinden politischer Lösungswege auch für andere Bereiche freier Beschäftigung.

„Sie kann, zusammen mit der Bundesagentur für Arbeit, die wahrscheinlich eher der Leistungsverwalter wäre für eine solche Arbeitsversicherung, ein Modell entwickeln, wie eine solche Arbeitsversicherung für Soloselbstständige, was durchaus auch über die Künstler und Publizisten hinausgeht, aber sie kann es am Beispiel dieses in gewissem Sinne prototypischen Berufsstandes gemeinsam mit der Bundesagentur entwickeln.“

Die KSK ist die einzige Institution, die in der äußerst bunten Szene freier künstlerischer Betätigungen einen gewissen Überblick behält. Was soziologische Untersuchungen oft nur unvollständig erfassen – die wirtschaftlichen Verhältnisse der selbstständigen Künstlerinnen und Künstler – ist für die Behörde seit 1983 tägliche Praxis. Inklusive Ausnahmeregelungen, Krisenmanagement. Wackelige Notlösungen, vor einer möglichen Einführung einer Arbeitslosenkasse für Solo-Selbstständige, die Thomas Frickel freuen würde.

„Wenn man jetzt eine Arbeitslosenversicherung für Solo-Selbstständige etablieren will, was wir sehr begrüßen würden – das wäre eine tolle Errungenschaft und eine sehr schöne Abrundung des sozialen Netzes, das die KSK spannt – dann muss man natürlich auch sagen, wo das Geld herkommen soll.“

Aus Hamburg, Düsseldorf oder Frankfurt kommen derzeit wichtige Impulse. Jetzt müssten natürlich eigentlich auch aus den Ministerien in Berlin Signale kommen, dass die Reformen angegangen werden.