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Letzte Generation in der Volksbühne
Hausbesuchung
von Eberhard Spreng

Die Staatsanwaltschaft in Neuruppin hat mit Ermittlungen wegen des Anfangsverdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung gegen die „Letzte Generation“ begonnen. Das ist nur eine der jüngere Meldungen in der hitzigen politischen Debatte um die „Klimakleber“. Der Umstand hat die von René Pollesch geführte Volksbühne auf den Plan gerufen. Sie veranstaltet mit Aktivisten und Aktivistinnen eine „Hausbesuchung durch die letzte Generation“.

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 17.06.2023 → Beitrag hören

Foto: Stefan Müller

Über der Bühne schwebt ein riesiges Prospekt, darauf ein gewaltiger Wasserfall. Darunter ein Rednerpult und ein paar Pylone. Die Volksbühne hat ihr Haus einen Abend lang für die Letzte Generation geöffnet, will, wie Dramaturgin Sabine Zielke erklärt, Solidarität üben mit einer Bewegung, die seit kurzem immer häufiger kriminalisiert wird.

„In dem Moment, als sich abzeichnete, dass die Debatte um Aktionen und die Ziele der Letzten Generation von schärferen Tönen getragen wurden, und die Worte „Kriminelle Vereinigung“ und „Straftaten“ immer häufiger fielen, sagten wir uns: Stop mal!“

Den Anfang machten Ausschnitte aus der Tagesschau vergangener Jahrzehnte. Die kommende Klimakrise war schon 1979 Thema; einer der Teilnehmer auf der ersten Weltklimakonferenz war der Meteorologe Hermann Flohn.

„Eine der wichtigsten Folgen wäre ein wesentlich trockenes Klima im ganzen Mittelmeergürtel, das randlich auch auf das südliche Mitteleuropa übergreifen würde. Die Folgen, die für Wasserversorgung und Ernte dann eintreten würde, sind in der Tat unübersehbar.“

Gut 44 Jahre später verzweifelt eine junge Physikerin an der Folgenlosigkeit der wissenschaftlichen Aufklärungskampagnen. Volksbühnen-Schauspielerin Katrin Angerer verleiht ihr ihre Stimme.

„Ich habe in Podiumsdiskussionen geredet, in Schulen, im Radio, im Fernsehen, mit Bürgermeistern und Unternehmern, in Umweltausschüssen vor dem Landtag meiner Heimat; ich habe einen Großteil meiner Zeit und Kraft in den vergangenen Jahren in das Ziel gesteckt, die Klimakatastrophe zu verhindern. Und ich habe erkannt: Es war vergebens. Deutschland reagiert zu langsam.“

Die Volksbühne beteiligt sich also mit ein paar Ensemblemitgliedern an dieser „Hausbesuchung durch Letzte Generation“ deren Aktivistinnen und Aktivisten ihrerseits im ersten Teil des Abends auch Menschen aus heute schon besonders betroffenen Regionen in kurzen Statements zu Wort kommen lassen. Wie die Philippinische Klimaaktivistin Mitzi Jonelle Tan.

„Die Philippinen tragen nur zu 0,4 Prozent zu den globalen Co-2-Essisionen bei. Und doch sind wir die, die schon jetzt die drastischen Auswirkungen des Klimawandels erleben. Der Kampf für das Klima ist ein Akt der Güte. Denn die Klimakrise wird durch andere soziale und ökologische Krisen verstärkt. Alles ist miteinander verbunden und der größte Akt der Freundlichkeit, den du tun kannst, ist für jemanden außerhalb von die selbst, außerhalb deiner Gemeinschaft zu kämpfen.“

Awareness sollen die gesammelten Appelle beim Publikum auslösen, das im zweiten Teil des Abends in Zweiergruppen benachbarter Zuschauerinnen und Zuschauer ein 10-teilges Thesenpapier eines so genannten „Ministeriums für Mitgefühl“ diskutieren soll, mit etwas lebensfremden Compliance-Regeln. Eine Kirchentagsatmosphäre liegt über dem Saal, eine Einigkeit bei der moralischen Verpflichtung zur Solidarität mit der jungen Bewegung. Dabei hätte man sich an einem solchen Abend schon der Sache wegen etwas mehr zusätzliche Expertise gewünscht. Ein Konfliktforscher hätte erklären können, welche politischen Strategien in der Vergangenheit erfolgreich waren und welche nicht. Ein Anwalt und Politiker wie Gregor Gysi, der einen Klimaaktivisten vor Gericht verteidigt, hätte darlegen können, welche Folgen es für Bewegungen hat, wenn sie kriminalisiert werden. Ein Sozialpsychologe hätte erklären können, warum Menschen trotz besserer Einsicht in die Notwendigkeiten ihre schädlichen Gewohnheiten nicht ändern. Und vielleicht auch, wie man eine Bevölkerung mit einem neurotischen Verhältnis zum Automobil klimafreundlich einhegt. So blieb der Abend an der Volksbühne im Kern eine Rekrutierungsveranstaltung für künftige Aktionen, auf die Tim Wechselmann-Cassim einstimmt.

„Als wir 33 Kreuzungen blockiert haben, da waren es gerade mal hundertachtzig Menschen, die zeitgleich hier auf den Straßen saßen. Wir hier im Saal, wir sind 700 Menschen. Und … das ist auch der Punkt, wo ihr hier mit ins Spiel kommt … tut mir leid.“

Zum Schluss gab’s in den Foyers noch Gelegenheit zum Netzwerken mit den Aktivisten und Aktivistinnen, die man an ihren orangefarbenen Warnwesten erkennen konnte. Zeitgleich meldete die lokale Tageszeitung, dass die neue Berliner Verkehrssenatorin alle Fahrradwegepläne stoppen will, bei deren Umsetzung auch nur ein Autoparkplatz verschwinden würde. Es wird also nicht friedlicher auf den Straßen.