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Theater im Internet
Die Grenzen des digitalen Raums
von Eberhard Spreng

Wegen Corona wandert das Theater ins Internet. Aber das hat auch seine Grenzen. Im Reader „Lernen aus dem Lockdown“, der im Alexander-Verlag erschien, denken Akteure der freien Szene darüber nach.

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 07.11.2020 → Beitrag hören

Abb.: Impulse Festival

Wir erleben „im Kulturbereich gerade in atemberaubendem Tempo neue digitale Angebote“, freute sich Kulturstaatsministerin Monika Grütters im Sommer und lobte den großen digitalen Kreativitätsschub der deutschen Theaterlandschaft. Sie hoffte, der Kulturbereich könne „stärker aus der Krise herauskommen als er hineingegangen ist.“ Nach Monaten des Streamens, des „Zoomens“ und anderer digitaler Programme ist es vor allem für die freie Szene nun aber auch Zeit für die kritische Reflexion von digitalen Lernprozessen in der guten alten Präsenzkunst Theater. Der Kurator, Dramaturg und Festivalleiter Haiko Pfost beobachtet nach den ersten Corona-Monaten gewisse Ermüdungserscheinungen.

„Das höre ich aber auch von vielen Kollegen und Kolleginnen, dass sie wirklich nach diesen Onlinefestivals, nach diesen extremen Zoom-Erfahrungen unter einem Burnout leiden oder auch andere psychische Komponenten auftreten, wo eine Entfremdung zum eigenen Körper stattfindet. Und das ist, glaube ich, etwas Symptomatisches, womit wir umgehen müssen, wenn wir weiter so arbeiten.“

Vom „digitalen Burnout“ sprechen auch andere in der freien Szene, wie die Dramaturgin Wilma Renfordt.

„Theater und Digitalität. Da muss man erst mal ganz grundsätzlich unterscheiden: Habe ich ein Projekt für den physischen Raum geplant und muss es dann in den digitalen Raum übertragen oder ist ein Projekt von Anfang an für den digitalen Raum, fürs Netz gedacht gewesen, und bei diesem Medienwechsel, das erzeugt natürlich riesige Verwerfungen, weil sich ein Theaterprojekt, das für eine Bühne und zweihundert Zuschauer und viel Raum und geteilte Präsenz u.s.w. geplant ist, sich nicht einfach so ins Netz übertragen lässt.“

Begnügten sich vor allem die meisten etablierten Ensembletheater im Lockdown zunächst mit dem simplen Streamen von abgefilmten Inszenierungen aus dem Aufführungsfundus, arbeiten andere insbesondere in der freien Szene an neuen digitalen Formaten. Heute ist der Szene die Unterscheidung zwischen den Begriffen der Digitalisierung und der Digitalität wichtig: Das eine meint die simple Migration analogen Theaters ins Internet, das andere ein Denken und kreatives Arbeiten innerhalb des digitalen Raums.

„Es gibt Künstler*innen die haben schon sehr früh auch mit digitalen Medien gearbeitet und sind dadurch in eine ganz andere Welt eingetaucht, aber da spielt der leibliche Körper auch keine so große Rolle. Das ist etwas anderes in den darstellenden Künsten, vor allem bei Tanz, Performance, wo wir wirklich den Körper im Zentrum der Arbeit haben.“

Zeige deine Wunde!

Der Körper und sein Verschwinden im Digitalen rückt ins Zentrum der Debatten. Thema ist aber insbesondere auch ein Körper, der um seine eigene Verletzbarkeit weiß und dies auch zum Thema macht. Falk Schreiber, Publizist und Co-Herausgeber des Readers „Lernen aus dem Lockdown“ fordert: „Zeige deine Wunde!“

„Es geht eher um Verletzbarkeit, um die Möglichkeit einer Verletzung und dann eben um das Zeigen dieser Verletzung und dieses Zeigen könnte, wenn es gut läuft, Formen von Empathie zur Folge haben oder von Solidarität und damit auch einen neuen Umgang untereinander und miteinander.“

Berührung, Nähe – die Vordenker der freien Szene sprechen in Bezug auf das klassische analoge Theater gerne von Kopräsenz – all das geht im Netztheater verloren. Das Theater muss mit anderen Mitteln Formen der Empathie befördern. Vor allem müssen natürlich alle Performer und Performerinnen begreifen, dass das Internet selbst schon seine genuin eigenen Formen der digitalen Performance und der Interaktion mit dem Publikum entwickelt hat. Theater im Netz ist also zuallererst ein Lernprozess, für den Wilma Renfordt die freie Szene besser aufgestellt sieht als die reichen Ensemblebetriebe:

„Ich denke die freie Szene ist ästhetisch gut aufgestellt, um auf die aktuelle Situation zu reagieren, weil viele pandemietaugliche Formate ohnehin in der freien Szene entstanden sind oder dort schon lange beheimatet sind wie z.B. Audiowalks, installative Settings, Eins-zu-eins-Situationen oder eben viele andere Formate, die nicht darauf beruhen, dass ganz viele Menschen eng beieinandersitzen.“

Vielleicht wird sich in ein paar Jahren im Internet das digitale Performen als neue Kunstform durchgesetzt haben, ohne dass man es noch Theater nennen will. Und vielleicht wird man parallel dazu erkennen, dass der letzte Ort, an dem Theater wirklich stattfindet, der Körper des Menschen ist.