Der Regisseur-Peter-Stein-wird-80

Peter Stein wird achtzig
Der Meister dramaturgischer Komplexitäten
von Eberhard Spreng

Nach den Anfängen in München, Zürich und Bremen wurde Peter Stein durch seine weltweit einzigartige Theaterarbeit mit der Schaubühne am Halleschen Ufer und später am Lehniner Platz berühmt. Jetzt feiert der Meister seinen 80. Geburtstag.

Bayerischer Rundfunk – Kulturwelt, 01.10.2017  → Beitrag hören (ab 6’55)

Portrait des Regisseurs Peter Stein
Peter Stein (Foto: Creativcommons -Дмитрий Дубинский)

„Das ist der Weisheit letzter Schluss:
Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben,
Der täglich sie erobern muss
.“

Bruno Ganz als Faust in Peter Steins Opus Magnum, einem Mammutprojekt auf des Basis des völlig ungekürzten Goethe-Textes anlässlich der Expo 2000. Der große Theatermeister hatte dafür eigens eine eigen Produktionsfirma gegründet. Der Stoff selbst hatte den Regisseur bereits in der Schulzeit fasziniert. „Ich habe mich, seit ich 16 bin, mit dem Faust 2 beschäftigt und gespürt, dass da etwas großartiges abgehandelt wird, etwas hochinteressantes, aber ich hatte weder die Geduld noch die Fähigkeit, mich mit diesen Gegenständen zu beschäftigen, die dort vorkommen, und mit denen der Goethe spielt. Wenn man das dann in der Lage ist, irgendwann zu erkennen, dann wird es plötzlich ganz einfach, sich dort einzufühlen und dort mitzuspielen.“

Die ungeheure Werktreue, für die Peter Stein berühmt ist, gipfelte in einer 21-stündigen Aufführung, die allerdings nicht zu seinen größten Erfolgen gezählt wird. Diese fielen in die Zeit, als der 1937 als Sohn eines leitenden Ingenieurs in Berlin geborene Regisseur mit der Schaubühne berühmt wurde, nach Anfängen in Bremen und München. Mit seiner Inszenierung des Torquato Tasso wurde die breitere Öffentlichkeit auf ihn aufmerksam, später nahm er die Schauspieler der ersten Jahre – unter ihnen Edith Clever, Bruno Ganz, Jutta Lampe und Otto Sander mit an die Schaubühne am Hallescher Ufer, wo er u.a. mit seinem großen Antikenprojekt, der Orestie, Aufsehen erregte. Er selbst hatte eine neue Übersetzung erstellt. Die Arbeit am Text, die präzise Lektüre, die vollständige dramaturgische Durchdringung des Stoffes, sind für Peter Stein immer die Voraussetzung für die Theaterarbeit. „Ich mache meine Arbeit mit Intensität und die Leidenschaft bricht dann aus, wenn ich das Gefühl habe, dass ich ein großartiges Kunstwerk entdecke, indem ich es mache. Denn das ist der eigentliche Anlass, worum ich überhaupt zum Theater gekommen bin, deswegen bin ich überhaupt kein richtiger Theatermann. Ich komme eigentlich mehr vom Lesen, von der Universität.“

Steins Regiekunst wurde gerade bei komplexen Figurenbezügen geradezu betörend: In der Salonwelt eines Anton Tschechow, bei Die drei Schwestern und Der Kirschgarten z.B.. Steins gelingt es, mehrere Figuren zugleich mit einer präzisen, räumlich und rhythmisch sehr klar strukturierten Regieführung durch die Melancholie eines langsamen Untergangs zu lenken. Ähnlich schön war seine Regie in Maxim Gorkis Sommergästen:

– Unsere Psyche ist vielschichtig. Das hat die Intelligenz unseres Landes schon immer ausgemacht.
– Die Intelligenz unseres Landes, das sind nicht wir. Wir sind etwas andres. Wir tun nichts, wie reden nur schrecklich viel.

Magistraler Regiegestus und Inspektion der Toiletten

Peter Stein beherrscht dramaturgische Komplexitäten einmalig. Was ihm weniger liegt, sind expressive, emblematische, sprunghafte Texte, Stoffe, die nur ein gewisser Wahnsinn zu großem Theater machen kann. Sein Verdienst an der Schaubühne, die 1981 in das größere Haus am Lehniner Platz umzog, war, dafür den so ganz anderen, genialen Klaus Michael Grüber ans Ensemble gebunden zu haben und damit eine große, aber komplementäre Regiekonkurrenz. Zu Peter Steins Lebenswerk gehört eben nicht nur sein magistraler Regiegestus, sondern auch die Schaffung eines künstlerisch nicht übertroffenen Theaterhauses, in dem jede einzelne der sehr aufwändig vorbereiteten Produktionen zu einer Ideenreise wurde und eine eigene Welt öffnete. Und das inklusive Mitbestimmung des Ensembles vor allem in den Anfängen. Und Peter Stein war an der Schaubühne ein Theaterchef, der, wie Mitarbeiter des Theaters schmunzelnd erzählen, sich nicht zu schade war, zum Beispiel auch immer wieder mal die Toiletten zu inspizieren, weil in der Schaubühne eben alles stimmen musste. Und darüber hinaus ist Peter Stein ein intimer Kenner der Theatergeschichte und denkt bis heute über den Homo Ludens und seine Spiele nach. „Wir sind dazu verurteilt, außer einer konkret erlebten Realität ständig mit einer spielerischen Realität zu arbeiten, und die so genannte wirkliche Realität durch die spielerische Realität zu konterkarieren. Sonst können wir gar nicht am Leben bleiben. Was anderes ist natürlich heutzutage, dass die spielerische Realität durch die virtuelle Realität ersetzt wird; dann sind wir in der Tat in diesem Netz gefangen, und dann wird es auch der wirklichen Realität nicht besonders gut ergehen.“