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Dömötör inszeniert Gorki am Gorki
Ein Fall von Gewalt gegen Kuschelbär und Taftkleid
von Eberhard Spreng

Vor einhundertfünfzig Jahren wurde Maxim Gorki als Alexei Maximowitsch Peschkow geboren. Anlass für eine Inszenierung seines Stücks „Die Letzten“, die Geschichte eines korrupten, brutalen und verkommenen Polizeichefs und Familienvaters. András Dömötör macht daraus am Gorki-Theater eine lustige Kinderzimmer-Horrorshow.

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 16.06.2018

Horroshow mit Kuschelbär
Foto: Ute Langkafel

Ein Kinderzimmer hinter einer großen Glasscheibe, ein Spiel wie im Schaufenster. Darinnen ein Schar Darsteller in Kinderpyjamas, mit geröteten Augen und etwas gruselig geschminkten Gesichtern. Sie starren ins Publikum, aber sehen können sie da nichts. Ihre einzige Verbindung dahin ist ihr Vater, und der sitzt zunächst im Strickkleid und mit altmodischer Frauenfrisur auf einen Stuhl, häkelt vor sich hin und betrachtet seine Nachkommenschaft. Mann und Frau in einem und Asymmetrie der Blicke: Er sieht etwas, was seine Kinder nicht sehen. Dimitri Schad spielt Gorkis korrupten, selbstgerechten Patriarchen in diesem Eingangsbild milde lakonisch vor sich hin murmelnd. Aber wehe, wenn er nach Hause kommt, was sich immer mit dem Geräusch eines Akkuschraubers ankündigt, mit dem er die verrammelte Eingangstür an der Seite zum Glaskasten öffnet.
– Was ist das für Krach.
– Vater kommt
– Vati kommt heute nach Hause und
Vati wird traurig sein, falls wir nicht schlafen
Vati ist oft traurig
Vati soll den ganzen Tag ein Vater sein
komm Vati, da draussen ist zuviel Wirklichkeit
komm Vati, mach Ordnung in den Kinderköpfen.

Mit einer zerpflückten Kindergartenmusik, einer Orff-Parodie begleitet Tamás Matkó ein Familiendrama, das hier als lustige Horror-Farce vorgeführt wird. Bei Gorki war dieser Vater noch ein brutaler Polizeipräsident, der sich mit seiner Familie bei seinem kranken Bruder Jakow einquartiert hat, ihn rücksichtslos ausbeutet, der seine Frau Sofja unterdrückt, seine Kinder schikaniert und gegen deren Willen verkuppelt: Ein Ausbund an zynischer Brutalität.

Bruder und Ehefrau sind Kuschelbär und rotes Taftkleid

Dömötörs Inszenierung hat den kranken Bruder durch einen weißen mannsgroßen Kuschelbären ersetzt. Immer wenn man den um Geld anhaut, dann wird ihm das buchstäblich aus den Rippen geleiert: Die Füllwatte zerrt man ihm aus dem zunehmend ausgemergelten Kuschelbärenkörper. Dann wird er immer wieder mit dem Kopf gegen die Wand gedonnert und schließlich stirbt er als ausgehöhlte Stoffleiche den Kinderzimmertod. Iwans Frau Sofja ersetzt eine rotes Taftkleid, das sich mal diese mal jener rasch überstreift, wenn Mutti wieder mal zurechgewiesen wird, oder wenn sie die verkrüppelte Ljubow tröstet, mutmaßlich ihre uneheliche Tochter, aus einer Liaison mit Jakow, der eigentlichen Liebe ihres Lebens. Dieses unterdrückte, nicht ins Leben gekommene Liebesverhältnis ist Gorkis dramaturgischer Kontrapunkt. Ihn ins rein Metaphorische zu entsorgen, indem er dessen Figuren als leere Stoffhüllen hin und her schupst, hilft Dömötör dabei, aus Gorkis Verkommenheitsrealismus eine grelle Freakshow zu machen.

Zaghafte Blicke in die Gegenwart der neuen Despoten

Die erlaubt  sich allerdings nur kleine Verweise auf das gegenwärtige politische Klima und die Renaissance des Despotismus. Trumps „sad, sad, sad“ ist einmal zu hören oder „Fake-News“ und natürlich darf man bei einem korrupten Polizeichef auch an die gegenwärtigen Vorgänge in Russland oder der Türkei denken und bei präsidialer Selbstgefälligkeit natürlich auch an Dömötörs Heimatland Ungarn und an dessen Machthaber Vikor Orban. Aber dieses politische Aussen wird nur beiläufig angedeutet. Das ist eine perspektivische Verkürzung auf ein vielfach zerrüttetes Vater–Kinder-Verhältnis. „Ich bin Vater. Du verstehst die Seele eines Vaters nicht. Vater sein ist eine heilige Aufgabe. Der Vater ist sozusagen der Ursprung des Lebens. Gott selbst trägt den großen Namen Vater.“

Das sagt Dimitri Schad als Iwan mit etwas hohlem Pathos, nachdem er auf der Vorderbühne vor der Scheibe mit grotesk vorgestreckter Brust den Macker gegeben hatte, vor einer Frau, die ihn um die Entlassung ihres verhafteten Sohnes bittet. Das ist Körpersprache als Persiflage, klar, in unserer Welt, die heutige Väter aus Werbung und Wirklichkeit anders kennt: Als nette, aber leicht trottelige Familiendienstleister. In Dimitri Schads Gesicht mischt sich jedenfalls immer wieder ein unwillkürliches Grinsen, wenn er so richtig ekelig sein soll. Den noch nicht völlig korrumpierten Kindern sollte die karrieristische Schäbigkeit ihres Vaters jetzt moralisch unerträglich geworden sein. Unter anderen Wera, der Vidina Popov innerhalb dieses Hau-Drauf-Spiels noch ein kleines Figureneigenleben verleihen kann. Viel von der Welt haben diese Kinder nicht gesehen und verstanden, aber genug, um ihren Vater zu verurteilen und deshalb nimmt ihnen Iwan in einem gruseligen Schlussbild das Augenlicht. Für den Erhalt seines kaputten Familienfriedens ist der zu Allem bereit.

Gut eindreiviertel Stunden dauert das Spiel von Autokrat und chorischem Kinderuntertanenvolk, als Thema mit Variationen, dann hat Dömötör mit cleverer Regie und Spielleitung sein Bühnenbildsetting bis zur Neige erschöpft. Ist ja nett, dass das Gorki-Theater den 150. Geburtstag seines Namenpatrons mit dieser Arbeit ehrt, aber Strahlkraft in unser sich im Schatten neuer Tyrannenherrschaften wieder verdüsterndes Zeitalter hat diese Produktion trotz aller Aktualisierungsversuche kaum.