Das Berliner Grips Theater wird fünfzig
Linke Geschichten
von Eberhard Spreng
Vor fünfzig Jahren entstand das führende deutsche Kinder- und Jugendtheater aus dem studentischen „Reichskabarett“, das zunächst nur an Wochenenden Kindermärchen aufführte, schnell aber die politische Notwendigkeit von eigens für Kinder geschriebenen Stücken erkannte. Mastermind und langjähriger Theaterchef Volker Ludwig berät noch heute das erfolgreiche Theater, dessen künstlerische Leitung er 2016 an Philipp Harpain abgab.
Bayerischer Rundfunk, Kulturwelt – 06.06.2019 → Beitrag hören
– „Banken, habt ihr die verstanden?
– Nee, wir könn’ die auch nicht verstehn’
– Banken, irgendwas mit Finanzen, ich glaub der Fehler steckt im System.“
Ein Song aus dem Stück „Die Lücke im Bauzaun“, das im Berliner Grips-Theater zu seinem 50. Geburtstag neu aufgeführt wird. Das ist die aktualisierte Version einer Arbeit von 1971, die damals als Ensembleproduktion des „Reichskabaretts“ entstanden war. Dessen Mitbegründer Volker Ludwig erklärt, wie aus diesem dereinst das legendäre Grips-Theater wurde: „Die Entstehung war halt in einem linksradikalen, politischen Kabarett. Das war praktisch die satirische Stimme der Studentenbewegung in Berlin: Für uns waren die Kinder eine unterdrückte Klasse. Das waren sie ja damals auch, das sind sie heute so überhaupt nicht mehr. Wir wollten ja als Linke oder als Sozialisten alle Bevölkerungsschichten erreichen.“
Zunächst nur an Wochenenden gab das Reichskabarett eine Märchenbearbeitung für Kinder, dann begann Autor Volker Ludwig aktuelle Stücke für Kinder zu schreiben: „Stokkerlok und Millipilli“ war, 1969 das erste dieser zeitkritischen Stücke. Aus dem Reichskabarett wurde ein Kindertheater und schließlich ein Theater für Kinder und Jugendliche mit einer breiten Wirkung auf die Berliner Öffentlichkeit. „Die Erfolge waren so groß, wie wir später dann mit Jugendtheater anfingen, dass die CDU, die sehr stark, aber in der Opposition war, sagte: Das sind die Kommunisten, die verderben unsere Kinder. Einstimmig hat die gesamte CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus drei Jahre lang verlangt, dass keine Schulklassen mehr zu uns kommen, dass wir kein Geld mehr kriegen, und so weiter, auch wenn die das heute nicht mehr wahrhaben wollen.“
Aus heutiger Sicht erscheint die immer von theaterpädagogischen Aktivitäten begleitete Arbeit des Theaters in der Zeit nach der 68er Revolte wie pädagogisch-ideologische Abenteuer an den Bruchkanten gesellschaftlicher Konflikte. „Das war eine sehr harte Zeit, es wurde auch behauptet, ich wäre Unterstützer der Baader-Meinhof-Bande. Ich hab dagegen prozessiert und in letzter Instanz vor dem Kammergericht verloren. Da dachten wir: Das ist jetzt das Ende. Aber da schlug die Stimmung um, und es drehte sich um in eine unglaubliche PR für uns und eine Blamage für die CDU, weil es so lächerlich war, und wir waren nie so ausverkauft. ’78 war diese Wende.“
Das Grips konnte sich nun größere Produktionen leisten. 1980 entsteht, aus der Feder von Volker Ludwig und Detlef Michel, die legendäre „Linke Geschichte“, die in den Folgejahren immer wieder ergänzt und aktualisiert wurde. Die „Linie 1“ entstand 1986 und wurde zum meistgespielten Theaterstück der Zeit.
Der unermüdliche Chefautor und Theaterleiter Ludwig reflektierte gesellschaftliche Probleme unterschiedlichster Art. Seine Stücke reagieren auf Anregungen aus dem Publikum, den Gesprächen mit Kindern, den Workshops mit Lehrern. „Das Grips ist eben ein Theater, das gebraucht wird, das wirklich auf die direkten, aktuellen Probleme reagiert. Unsere Stücke enden immer mit einer Hoffnung. Das ist nicht immer ganz einfach, den Menschen eine Hoffnung zu geben ohne sie zu belügen.“
Die Aufführungen des Grips-Theaters beziehen ihre Wirkung aus konventionellen theatralen Mitteln: Eine stringente, die Erzählung vorantreibende Regie, griffige Charaktere, klare Konfliktlinien. Das Grips hat sich in den fünf Jahrzehnten seiner Existenz ästhetisch kaum gewandelt; mit dem 2011 neu berufenen künstlerischen Leiter Stefan Fischer-Fels überwarf sich der Theaterpatriarch nach wenigen Spielzeiten und setzte 2016 den Haus-Theaterpädagogen Philipp Harpain an die Spitze. Der versucht nun behutsamere Erneuerungen. „Wir werden mit Rimini-Protokoll eine Produktion machen, weil Kinder und Jugendliche einfach smartphoneaffin sind und das wird ein Stück werden, Bubble-Jam, wo es darum geht, die Algorithmen des Internet zu entlarven.“
Reibungen werden bleiben, denn Theateraltmeister Ludwig plädiert für die Fortsetzung einer alten Tradition. „Wir reagieren auf die Probleme unseres Publikums, die ändern sich aber die Herangehensweise und sich um diese Probleme zu kümmern und sie auf die Bühne zu stellen, das ändert sich nicht.“