Simon-Stone-Uraufführung-Hotel-Strindberg-am-Wiener-Akademietheater

Simon Stones „Hotel Strindberg“ in Wien
Hotel  der Verdammten
Deutschlandfunk, Kultur Heute – 29.01.2018

Simon Stone kollagiert Motive aus mehrere Strindbergstücken zu einer bedrückenden Revue voller Beziehungsabgründe zwischen Männern und Frauen. In der Co-Produktion des Wiener Burgtheaters mit dem Theater Basel spielt Martin Wuttke eine zentrale Figur.

Ein Architekturschnitt mit Hotelzimmern über drei Etagen
Foto: Reinhard Werner

#MeToo und kein Ende in Sicht: Da hockt ein Mann auf dem Sofa seines Hotelzimmers; einen Streit mit seiner Frau hat er gerade hinter sich und jetzt schwadroniert er über die allgemeine Lage auf dem Kampfplatz der Geschlechter. „Das Problem sind diese verschissenen Chauvies, haben die Frauen in den Guerillakrieg getrieben, in die Berge, und jetzt verhalten sie sich wie Terroristen. Ich wollte Gleichberechtigung, natürlich, alles andere wäre unmenschlich, aber sie wollen keine Gleichberechtigung, sie wollen Rache.“  

Alfred, gespielt von Martin Wuttke, hat Zoff mit seiner Frau Charlotte. Es geht um die Erziehung der Tochter. Strindbergs „Der Vater“ ist Konfliktmuster in diesem aufs Zeitgenössische umfrisierten Streit über Erziehungsfragen. Simon Stone hat ihn mit anderen Stoffen, vor allem Kammerstücken, des schwedischen Klassikers zu einem ziemlich verschachtelten Abend kollagiert und in sechs Hotelzimmer verlegt, die sich über drei Etagen aufstapeln, rechts flankiert von einem Treppenhaus. Das ist ein glasbewehrter Architekturschnitt für Momentaufnahmen vom zeitgenössischen Verfall der Verhältnisse zwischen Männern und Frauen. Es ist aber auch eine sehr kunstvolle Rekonstruktion der imaginierten „vierten“ Wand, durch die der Zuschauer hindurchschaut wie Hitchcocks Fotoreporter im „Fenster zum Hof“. Zu sehen sind parallel oft mehrere Aktionen, aber der Ton überträgt in der Regel jeweils nur eine der Zimmerschlachten. Zum Beispiel die zerrütteten Ehepartner, die sich verabredet haben, damit er die Scheidungspapiere unterzeichnet. Oder den beiden jungen Eltern, die sich beim Daten mit anderen und bei der Betreuung ihres Babys abwechseln und dann lustschmerzvoll Details ihrer Eskapaden erzählt bekommen wollen. Das alles in einer radikal heutigen Sprache, mit heutigen Figuren, zugleich aber mit den mehr als einhundert Jahren alten Stoffen, Motiven und Fragmenten der Figurenkonstellationen aus „Der Vater“,  „Der Pelikan“, „ Gläubiger“ „Mit dem Feuer spielen“ und anderen kurzen Stücken Strindbergs. In dieser Co-Produktion mit dem Theater Basel verwandeln sich die Akteure von einer Figur aus einem, in eine Figur in einem anderen Stück, ziehen sich schnell hinter einer Blendwand um, hinter der in dieser modernen Hotelinneneinrichtung das Bad zu vermuten ist. Da hier aber nie die dramatischen Entwicklungen auserzählt werden, sondern fast immer nur Endspiele von Paargeschichten, haben diese jungen Frauen und Männer mitunter einen zynisch- bis hysterischen Grundsound, wirken wie Karikaturen, boulevardeske Klischees, und so als liefen hier nur die Trailer, und nicht die Filme mit den Geschichten von Mann und Frau.

Im ausgeräumten Foyer: Martin Wuttke singt Iggy Pop
Foto: Reinhard Werner

Lediglich Alfred und Charlotte sind immer wieder im Bild, mit Beispielen einer ewigen Eheschlacht. Einmal führen Caroline Peters und Martin Wuttke das in einer krassen, zum Schreien komischen Slapstick-Nummer vor: Sie torkeln besoffen in fremde Hotelzimmer, durch den Flur, helfen sich mit absurden Verrenkungen beim Ausziehen, beschimpfen sich. Eine Hassliebe der ineinander Verkrallten:
–    „Es ist unsere Wohnung, es ist unsere Wohnung, es ist unsere Wohnung und die unserer Tochter.
–    Lass die miese kleine Drecksau aus dem Spiel.
–    Die will dich nicht sehen. Weißt du warum? Du erstickst uns. Wir ersticken an dir. Wein oder rot?“
Geht das? Ist diese gern als „Überschreibung“ bezeichnete Methode von Simon Stone, diese Aufladung der heutigen Sprache und Figuren mit der Dramatik der Vergangenheit wirklich eine Perspektive fürs post-postdramatische Theater? Bei seinen Baseler „Drei Schwestern“ sah es so aus. Aber bringt es was, aus gleich diversen Stücken eines Klassikers einen boulevardverdächtigen Theaterthemenpark zu kollagieren? Nach „Ibsen-Huis“ jetzt also „Hotel Strindberg“. Im gefeierten Ibsen-Haus mit der Toneelgroep Amsterdam wurde immerhin ein historischer Bogen, ein Sittengemälde und Epochenverfall sichtbar. „Hotel Strindberg“ ist dagegen pure Geschlechtergegenwart um die Kernfrage, wie sich Väter um ihre Kinder kümmern sollten und ob sie überhaupt sicher sein können, deren Erzeuger zu sein. Das ist zu wenig; da ist wirklich nur ein Hotel als Gefängnis zu sehen, aber dahinter kein Strindberg-Universum zu spüren.
Am Ende, wenn alle Inneneinrichtungen abgeräumt und ein kahles Foyer und darüber ein öder Esssaal zu sehen sind, singt der an seiner zweifelhaften Vaterschaft wahnsinnig gewordene Wuttke alias Alfred   herzzerreißend Iggy Pops „The Pure and the Damned“ und brüllt dann: „Ein Mann hat doch ein Recht auf Würde“. Es endet in Wahnbildern, Zeitsprüngen, Wirklichkeitsverlust. Hotel Strindberg ist ein Theaterkraftakt, ein betörendes Flächengemälde mit geringer Tiefenwirkung.