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Milan Peschel spielt Wilhelm Voigt am Deutschen Theater
Total nette Nervensäge
von Eberhard Spreng

Milan Peschel fing als Bühnenarbeiter an der Volksbühne an, bevor er dort einer von Castorfs beliebtesten Schauspieler wurde. Jetzt spielt er am Deutschen Theater in Carl Zuckmayers „Der Hauptmann von Köpenick“ den krakeelenden Arbeitslosen Wilhelm Voigt.

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 22.12.2017

Milan Peschel spielt Wilhelm Voigt
Foto: Arno Declair

Ein Mann im leeren Raum: Milan Peschel wandert über die völlig kahle, weiße Bühne des Deutschen Theaters auf der Suche nach irgendwas, nach dem Eingang zu oder dem Ausgang aus der Welt? Dann entdeckt er eine hohe doppelflügelige Tür. Die öffnet sich und dahinter ragen große Dekorelemente auf. Teile von Fassaden, in denen sich unschwer das heutige Berlin erkennen lässt: Das ehemalige Staatsratsgebäude der DDR, das Sony-Zentrum am Potsdamer Platz, Plattenbauten aus dem ehemaligen Osten. Und diese Elemente schiebt das schmächtige Kerlchen auf die Bühne und arrangiert sie zu einer Stadtlandschaft, die sich im Laufe der Aufführung immer wieder neu kombinieren lässt.

Milan Peschel als Schöpfer und Opfer der Stadtlandschaft

Jan Bosses Botschaft ist klar: Die Welt, aus der dieser Wilhelm Voigt, der ehemalige Zuchthäusler und arbeitslose Schuster mangels gültiger Papiere ausgeschlossen ist, diese Welt muss er auf dem Theater als Bühnenmalocher selbst erst erschaffen. Als Gottvater und Schöpfer schicker Oberflächen, zu deren Innenwelten ihm der Zugang aber verwehrt ist.

– Det stimmt
– Was stimmt
– Det mit der schiefen Bahn, da hamse ganz Recht Herr Kommissar, das ist wie wenn se ne Laus auf ne Glasscheibe setzen, kann die krabbeln und krabbeln, egal, rutscht die immer wieder runter.

Und es ist toll, wie Milan Peschel diesen Außenseiter spielt, mit großen Augen, die böse um sich blicken, mit verhärmten Mundwinkeln, mit einer nervigen Stimme, die Wahrheiten herauskräht, die keiner hören will. Nähme man ihn so von der Bühne und setzte ihn in die öffentlichen Verkehrsmittel der Stadt, er ginge sofort als einer der zahllosen bettelnden Obdachlosen durch. Regisseur Bosse tut einiges, um die Preußensatire und Kostümposse mit zeitgenössischem Elend zu untermauern. Der Bericht eines Flaschensammlers, den Armin Petras als Co-Autor dieser Theaterversion nach Interviews mit Obdachlosen angefertigt hat, ebenso wie der Bericht der Vertreibung einer Alt-Berlinerin aus dem sich gentrifizierenden Prenzlauer Berg. Eingestreut ist dies in eine Szenenfolge, in der Bosse artig die Geschichte des Zuckmayer Stücks nacherzählt, Szenen, in denen dann auch wieder ein Kamerateam die bewegten Porträts der Akteure einfängt, deren Bilder mit den Stadtfassaden verschmelzen. Später scheinen da auch die Luxusartikel der Parfümindustrie auf, die Fotos der Schönen und Reichen. Alles ordentlich gemacht und auch ein bisschen langweilig. Erst da, wo das Stück die beamtische Ideologie der autoritätshörigen Mehrheitsgesellschaft in Gestalt von Wilhelm Voigts Schwager Friedrich einmal nicht veralbert, sondern ernst nimmt, beginnt der spannendere letzte Teil der Aufführung.

– „Ich will dich nicht mehr hören, ich darf das nicht hören, ich bin Soldat, ich bin Beamter, das bin ich mit Leib und Seele und ich weiß, dass bei uns das Recht über alles geht.
–  Ja, auch über Menschen, da jeht et rüber. Übern Menschen mit Leib und Seele, da jeht et rüber, und dann steht er nicht mehr auf.“

Felix Goeser überzeugt in der Rolle des hilfsbereiten Gastgebers, der dem Gehetzten Voigt Obdach gewährt, bevor der wieder einmal in die Mühlen der Ämter gerät. Auch Steffi Kühnert gelingt als Kostümschneiderin eine schnoddrige Routine, bei der ihr das Mitmenschliche eher aus Versehen als aus Überzeugung abhandenkommt. Sie ist die Produzentin dieser berühmten Uniform, die hier als glitzerndes Showkostüm die Theaterhaftigkeit von Wilhelm Voigts furios-frecher Köpenickiade unterstreicht. In solchem Gewand wird aus dem Quälgeist ein herrischer Befehlshaber, der den Bürgermeister festsetzt, den Kämmerer nötigt, die Stadtkasse herauszugeben, und der dann doch deprimiert einsinkt, nachdem er feststellen musste, dass im Köpenicker Rathaus das begehrte Papier, ein Pass, nicht zu haben ist.

Auch am Ende wieder allein und verloren

Am Ende ist Milan Peschel wieder ganz allein, ausgesperrt auf der Vorderbühne: Der eiserne Vorhang hat sich gesenkt und ihn von der Welt abgeschnitten. Ein netter Looser gespielt von einem, der zunächst als Bühnentechniker ein Urgestein einer jetzt amtlich beendeten Volksbühnengeschichte war und hier zum krakeelenden Sympathieträger am bürgerlichen Deutschen Theater geworden ist. Das ist schlau besetzt. Und Milan Peschel tröstet so als nette Nervensäge etwas über die dramaturgischen Ungereimtheiten hinweg, die der Stoff bei seinem Transport aus der preußischen Obrigkeitsgesellschaft in die heutige Zeit erleidet. Dabei bleibt es bei einer etwas sozialkitschigen Ideologie: Die Mär vom guten Menschen, den die bösen Verhältnisse daran hindern, gut zu sein. Das historische Original war da viel schillernder, ambivalenter und machte nach vollzogener Tat und Gefängnisaufenthalt Karriere in der Öffentlichkeit.