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Parsifal-Überschreibung im Berliner Festival Immersion
Wagnerz für Mutterz
von Eberhard Spreng

Mit wilden Wort- und Bildkollagen zielt Jonathan Meese ins finstere Herz der deutschen Mythen. Seine Eingebungen stammen aus der Science-Fiction-Unterhaltung vergangener Jahrzehnte. Zusammen mit dem Komponisten Bernhard Lang überschreibt er so Wagners Parsifal; ihr Mondparsifal wird nach Wien nun in Berlin ein seiner Fassung Beta 9-23 gezeigt. Das ist auch ein bisschen eine Rache an Bayreuth, wo Meese ausgeladen wurde und eine für 2016 geplante Inszenierung vorzeitig platzte.

Bayrischer Rundfunk – Kulturwelt, 16.10.2017 → Beitrag hören

Jonathan Meese vor einer seiner Installationen im Haus der Berliner Festspiele
Jonathan Meese vor einer seiner Installationen im Haus der Berliner Festspiele (Foto: Eberhard Spreng)

Vor die Brust des Gralskönigs Amfortas ist eine kleine Vorrichtung geschnallt: Es ist eine sich drehende Spirale, wie man sie von früher kennt, von Plattencovern mit psychedelischer Musik. Manchmal stoppt das kleine Motörchen und dann muss der Gralskönig ihm einen kleinen Schups geben, damit seine Wunde nicht vor der Zeit verheilt. Die ewige Verletzung, die ihm einst Klingsor beibrachte, ist hier ein neckisches Ding, das einen hypnotisieren könnte, wenn man lange genug drauf schaut. Ein ironisches Zeichen natürlich und eines von zahllosen Findungen eines Jonathan Meese, der erstbeste Eingebungen, Assoziationen, Objekte, Versatzstücke und Bildzitate in einen wilden Tanz versetzt, in ein Gesamtkunstwerk, in die „Diktatur der Kunst“. Und deren Botschafter ist sein Parsifal. „Parsifal ist der Retter, der kommt in diese verkrustete, verbitterte Gralsgesellschaft und er befreit sie indem er sie entideologisiert indem er sie entmitläufert, indem er sie entpolitisiert, indem er sie entreligiösiert, indem er sie entheiligt. Mit Spaß Liebe und Hingabe und diese Leute merken: Sie sind falsch. Und er nimmt ihnen das Falsche und schleudert sie in die Zukunft.“

Oper auf der Bühne – Installationen überall im Haus

Installationen von Jonathan Meese sind in sämtlichen Foyers und der Kassenhalle des Hauses der Berliner Festspiele verteilt. Fast alles Bildhafte stammt aus der Popkultur, die das ewige Kind Meese in seiner Kindheit und Jugend begleitet hat: Fernsehserien wie Mondbasis Alpha 1, die dieser Parsifal-Überschreibung den Titel gab, ober die Weltraumamazone Barbarella, deren silbernes Kostümchen die Kundry des zweiten Aktes kleidet. Oder die einst von Sean Connery verkörperte Figur des Zed aus der Science-Fiction-Fantasy Zardoz. In dem knallroten, aus Badehose und Patronengürteln bestehenden Dress des Films von 1974 tritt der Countertenor Daniel Gloger als Parsifal auf, der im zweiten Akt, Wagnersängern auf dem schmalen Grat zwischen Singen und Schreien folgend, erkennt, dass Amfortas ewige Wunde nun auch in ihm blutet.

Die zentrale Szene zwischen Kundry und Parsifal spielt hier vor einem begehbaren Holzverschlag in Menschenform, über dem der Schriftzug „Dr. No“ an einen 007- Film erinnert. Die erotischen Störwellen, die Wagners Klingsor auf die Gralsritter loslässt, kommen hier von dem Harem eines abgetakelten Martin Winkler, der erst mit einem großen Plüschbären kopuliert, ihn dann erhängt und anschließend mit einer Herzmassage ins Leben zurückholen will. Während dessen treffen Kundry alias Barbarella und Parsifal alias Zed in einer Art Wild-West-Parodie aufeinander.

Das Ende der Politik

Übertitelungen geben den gesungenen Text wieder, und an denen haftet noch etwas Wagner, aber unter diesen Zeilen stehen in roter Schrift Kommentare, ein Subtext, der direkt in die Gedankenwelt des Jonathan Meese weist: „Ich bin für Religionsbefreitheit, nicht für Religionsfreiheit, ich bin für Politikbefreitheit! Wir haben es verdient, endlich aus diesen Restriktionen und aus diesen Dressurprogrammen raus zu kommen. Und dann wird ein Potenzial frei gesetzt, das hat die Welt noch nicht gesehen. Die Zeit des Politischen ist wirklich vorbei, völlig ausgereizt. Da wird nie, nie wieder was kommen, nichts, das ist tot.“

Bernhard Lang, Meeses kongenialer Komponist zitiert recht frei aus dem musikalischen Repertoire Wagners, leistet sich sogar eine kleine Freejazz-Einlage und mitunter von Schlagzeug vorangetriebene Grooves, bleibt aber dem grundsätzlich eruptiven Gestus seiner musikalischen Vorlage treu.

Den dritten Akt begleiten Filmbilder aus Fritz Langs Mammutwerk „Die Nibelungen“. Siegfried und Kriemhilde überlagern hier Parsifal und Kundry und dann sehen wir in Videoprojektion die Hände des Künstlers, wie sie in einer Mappe mit Zeichnungen und bedrucktem Papier blättern. Ein altes Filmheft zu „Triumph des Willens“ ist auch dabei, eine kalkulierte Provokation, wie die großen Ritterkreuze auf der Brust der Gralsritter, wie der Hitlergruß, mit dem das Enfant Terrible Meese vor Jahren auffiel. Den habe ihm seine Mutter verboten, sagte der Künstler bei einem Pressetermin Stunden vor der Aufführung. Da war sie dabei, maliziös lächelnd, ebenso wie dann im Publikum bei der Aufführung. Ihr Konterfei ziert die rechte Vorderbühne, unverrückbar, als stille Herrschaft. Sie ist Meeses Kundry und als Strippenzieherin vor allem in administrativen Dingen aus dem Werk des Künstlers nicht wegzudenken. „Für Mutti“ hätte über all dem stehen können. Das Berliner Publikum jedenfalls hat den Mondparsifal Beta 9 – 23 sehr gemocht.