Timbuktu-is-back-Tanz-Performance-und-Film-im-Hebbel-am-Ufer

Die Sahelzone im Berliner HAU
Widerstand und Hoffnung
von Eberhard Spreng

Am HAU versammelt Kurator Alex Moussa Sawadogo zeitgenössischen Tanz, Performance und Film unter dem Festivaltitel „Timbuktu is back“. Das ist programmatisch zu verstehen, denn Künstler sollen nicht nur der 2012 von Dschihadisten okkupierten Stadt wieder zu alter Geltung  verhelfen.

Deutschlandfunk Kultur, Fazit – 08.04.2019 → Beitrag hören

 

Perfomer ratlos
Nadia Beugré und Seb Martel hinter einer Reihe von Stoffpuppen (Foto: Erik Houllier)

Ein finsteres Ritual hält die Akteure in der Performance „Tapis Rouge“ gefangen. Einer formt aus Sand und Erde serienweise kleine Kugeln, ein anderer hockt auf einem kleinen Hügel, gräbt im Sand und birgt aus ihm eine Reihe von einfachen Stoffpuppen. Sie könnten ein Bild sein für all die Toten, die in den völlig unzureichend abgesicherten, improvisierten Bergwerken verschüttet werden, in denen in Burkina Faso nach Gold gegraben wird. Nach Besuchen solcher Minen hat die aus der Elfenbeinküste stammende Choreographin Nadia Beugré die bei weitem stärkste Arbeit des kleinen Festivals im Kreuzberger HAU entwickelt. „Ich bin mit meinem Team das Risiko eingegangen, ein sechzig Meter langes Loch zu graben und da dann zwei Tage zu bleiben. Es ging darum, die Situation zu begreifen, der sich Menschen in der Mine täglich aussetzten. Auch wenn sie hören, dass da wieder ein Stollen eingebrochen ist, dass es Tote gab, machen sie weiter. Ich wollte diese Menschen würdigen, ihnen wollte ich einen roten Teppich ausrollen.“

Der titelgebende aber nicht auf der Bühne auftauchende rote Teppich ist in Nadia Beugrés Vorstellungswelt auf seiner Unterseite voll von Staub. Und dieser Staub ist die Lebenswirklichkeit der mittellosen Arbeiter, Frauen und Kinder. Eingeladen hat diese Arbeit der Kurator Alex Moussa Sawadogo, der Produktionen von Künstlern aus verschiedenen westafrikanischen Ländern unter dem programmatischen Titel „Timbuktu is back“ versammelt hat. „Timbuktu war eine bedeutende Stadt in Afrika, ein geschichtsträchtiger Dreh- und Angelpunkt. Treffpunkt von Schriftstellern und Forschern. Die Dschihadisten haben aus Timbuktu eine No-Go-Stadt gemacht. Der Festivaltitel „Timbuktu is back“ versteht sich als Akt des kulturellen Widerstandes und der Hoffnung.“

Dass diese Hoffnung nicht vergeblich ist, beweist der Kurator, der auch das Kulturprogramm in Christoph Schlingensiefs Operndorf in Burkina Faso verantwortet, mit der Projektion des Dokumentarfilmes „Gao, Widerstand eines Volkes“ von Kassim Sanogo. Der behandelt das Jahr 2012, als Dschihadisten Kulturerbestätten in Timbuktu zerstörten. Im Film aber tritt die Bevölkerung einer kleinen Stadt in Nordmali den Milizen fast unbewaffnet, aber zahlreich entgegen. „Es gab Drohungen und dann die Ankündigung, das Mausoleum zu zerstören, aber dann haben die Dschihadisten die Entschlossenheit und den Widerstand der Bevölkerung gespürt, ein Kulturerbe zu schützen, das ihnen viel wert ist.“ Das erklärt ein alter Mann in Gao dem Dokumentarfilmer.

Rekonstruktion des Widerstandes in Gao
Ein alter Mann aus dem nordmalischen Gao erklärt Kassim Sanogo (rechts) die Chronik des Widerstandes gegen die Islamisten (Kassim Sanogo/Gao-La résistance d’un peuple)

Die Sahelzone ist Schauplatz zahlreicher Konflikte und gesellschaftlicher Umbrüche, die sich auch in der Produktion „Désir d’Horizons – Vom Wunsch nach Horizonten“ des Tänzers und Choreographen Salia Sanou zeigen. Wie Nadia Beugré entwickelte der aus Burkina Faso stammende Sanou seine Arbeit aus eigenen Recherchen in Lagern für Geflüchtete in Burundi und Burkina Faso. „Désir d’Horizon beruht auf meinen Beobachtungen in diesen Lagern. Die Körper der Menschen dort zu beobachten, hat mich als Tänzer sehr inspiriert. Mein Stück ist kein Dokument der Lagermisere, sondern eine poetische Reise, die dem Publikum Gedanken über die Conditio Humana in den Lagern erlauben soll.“

Mofas und Tänzer und Highlife aus den Lautsprechern
Du Désir d’Horizons (Foto: Laurent Philippe)

Erstaunlich wenig von Lethargie oder Verdruss ist in dieser Arbeit spürbar. Schön ist das Festival immer dann, wenn europäische Erwartungshaltungen auf rätselhafte Bilder stoßen, auf zunächst Unergründliches, eben auf Poetisches. Das gelingt Alioune Diagne in seinem Solo leider nicht, das sich der afrikanischen Boxlegende „Battling Siki“ widmet. Der Rassismus, der dem ersten afrikanischen Boxweltmeister in den 1920er Jahren entgegenschlug, ist zwar wie manches andere biografische Motiv Teil der Tanzperformance. Aber der weiße, vom Rassismuserbe belastete Blick auf den schwarzen Körper wird hier nicht zum Thema tiefergehender Erkundungen. Auch Serge Aimé Coulibalys „Kirina“, mit dem das Festival zum Abschluss kommen wird, schafft es trotz der Mitwirkung von bekannten Künstlern wie der Sängerin Rokia Traoré und dem Autor des vieldiskutierten „Afrotopia“ Felwine Sarr kaum, Folklore und Klischee hinter sich zu lassen. Und außerdem gab es im Programm wieder mal ein von deutschen Behörden verhindertes Konzert. Visa wurden den Musikern aus Mali nicht erteilt. Deutschland, dessen Museen gestohlene Kunstwerke von toten afrikanischen Künstlern nicht zurückgeben wollen, muss wenigstens lebende afrikanische Künstler hereinlassen, damit diese in einem öffentlichen Kulturhaus auftreten können.