DAU in Paris
Das Debakel
von Eberhard Spreng
Das größte Kunstereignis des Jahrzehnts hatten die Veranstalter versprochen. 13 Spielfilme über den sowjetischen Physiker Lew Landau und die Stalinzeit innerhalb einer gewaltigen „immersiven“ Installation. Der Beginn wurde mehrfach verschoben. Dann kam die Eröffnung und die wurde zum Fiasko, wie Besucher und Presse einhellig konstatieren.
Deutschlandfunk Kultur, Fazit – 28.01.2019
Mit dem kurzen Wort „Chaos“ kommentiert Sébastien Royer seinen Eindruck nach dem Besuch der DAU Installation auf Twitter. „Ein großer Betrug“, sagt ein anderer Tweet und führt aus. „Das Théâtre du Châtelet ist geschlossen; Menschen, die uns den Weg weisen sollen, sind noch verlorener als wir selbst, Ausstellungsräume sind unauffindbar, Wachleute vor verschlossenen Türen, die einem keine Auskunft geben.“ Eine Meldung von Pauline kann das bestätigen: „Ein Skandal, ein Chaos, aber ich kann Euch versichern, die Angestellten sind genauso verloren wie die Besucher.“
Fehlende Genehmigungen
Zwei Theater an der zentralen Place du Châtelet sollten die Besucher für eine labyrinthische Selbsterfahrung begrüßen, aber zum Zeitpunkt der geplanten Eröffnung hatte keines von beiden die nötige Genehmigung der Präfektur. Aber auch die dann verschobene Premiere konnte für den dort vorbereiteten Teil der Installation im Théâtre du Châtelet nicht stattfinden. Unklar ist, ob die Genehmigung für diesen Spielort jemals erteilt wird. Für den Besuch ist ein Visum nötig, für das man auf der Webseite des Veranstalters zuvor höchst intime Fragen zu beantworten hat, aber die Visa-Ausgabe gestaltet sich als problematisch. Lange Wartezeiten sind einzurechnen. Ist das beabsichtigt? Rückkehr in kommunistische Mangelerfahrungen: Warteschlangen vor Ausgabestellen?
DAU, das „normensprengende Kunstereignis“, das „keiner verpassen“ durfte, hatten die Medien angekündigt, nach dem ersten Abend aber musste eine große französische Tageszeitung melden: „Die Begeisterung der Besucher ging schnell in Lachen über, und Wut: Sie begriffen, dass sie hier ein gigantisches Fiasko erlebten“. In einem anderen seiner Artikel meldet der konservative Figaro. „Die Weltpremiere wird zum Alptraum“ Clément Scherrer twittert: „Das hat nichts mit dem immersiven Theater zu tun, das man uns in der Presse angekündigt hatte. Das ist ein schlecht organisierter Kramladen, der derzeit nach Betrug stinkt.“ DAU – l’expérience continue“ verspricht der Veranstalter, aber für Damien Lebreuilly gibt es nur „die Erfahrung, dass wir uns über den Tisch haben ziehen lassen. Aber ehrlich, das hat geklappt.“
Geklagt wird durchgängig über die Diskrepanz zwischen den Ankündigungen und der tatsächlichen künstlerischen Bedeutung von DAU. So twittert Cécile Chapron: „Das sah wie eine tolles Versprechen aus, und dann dieser Flop, eine ganz große Enttäuschung und der Eindruck, dass ich mich von einer riesigen, schlau eingefädelten Kampagne habe hinters Licht führen lassen.“
Immer wieder wird das Beispiel des spektakulär gescheiterten Fyre-Festival auf dem Bahamas zum Vergleich herangezogen. Da hatten die Veranstalter 2017 für ein Luxusfestival mit spektakulären Acts und exquisitem Catering geworben und dabei war alles nur heiße Luft. Die Veranstalter wurden inzwischen verurteilt, eine diesbezügliche Doku hatte vor wenigen Tagen auf Netflix Premiere. Einigen Twitterern zufolge hat Paris jetzt auch sein Fyre-Festival und SZ-Kulturkorrespondent Joseph Hanimann kann nur noch achselzuckend bilanzieren: „So viel zu wollen und so wenig zu können ist auch schon fast eine Leistung.“ Zwischen „Langeweile und Peinlichkeit“ wechseln für Hanimann die 13 Filme von Ilya Khrzhanovsky und in der FAZ ergänzt Niklas Maak die Bilanz massiver künstlerischer Mängel mit einer finsteren politischen Bilanz: „DAU steht für den neuen Anspruch an die Kunst, nicht Aufklärung und Aufstand gegen die Verhältnisse, sondern „Immersion“ und Heilung zu bieten – wozu man den Leuten erst mal einreden muss, dass sie krank sind und nicht das System um sie herum.“